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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0176
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Stellenkommentar GM I 10, KSA 5, S. 272 157

nung, u. da die Alten den Adel hauptsächlich in körperl. u. moral. Tüchtigkeit
suchten: wacker, tüchtig, brav, thatkräftig, tapfer" (Passow 1841-1857, 1, 547).
Leopold Schmidt beschäftigt sich ausgiebig mit dem Wort, und N. hat auf den
entsprechenden Seiten einige Lesespuren hinterlassen. Dabei geht Schmidt
von der Feststellung aus - zitiert in NK 261, 18-262, 4 -, dass überall Worte,
die zunächst adlige Abstammung angezeigt haben, auf sittliche Vortrefflichkeit
übertragen worden seien - bei den Griechen offenbar „schon der Gebrauch
des allerallgemeinsten Ausdrucks der Werthschätzung das Ineinanderfliessen
beider Vorstellungen in so ausgedehntem Maasse": „Zwei Adjektive dieser Art
treten uns in ihrer Sprache entgegen, von denen das eine die eigentliche Be-
deutung im Ganzen festhält und die moralische nur zuweilen vermöge einer
gewissen poetischen Bildlichkeit annimmt, das andere, ohne die eigentliche
einzubüssen, vorherrschend und unter mannigfaltig gestalteten Beziehungen
in der moralischen /324/ vorkommt, so dass wir vorbehaltlich etwaiger ver-
deutlichender Zusätze im Ganzen jenes — svysvfc — durch ,adlig', dieses —
yewaioq [...] — durch ,edel‘ übersetzen können. Aristoteles, der den Unter-
schied beachtet hat, bestimmt ihn dahin, dass durch das erstere die äussere
Thatsache der vornehmen Geburt, durch das letztere das Verharren in den das
Geschlecht auszeichnenden Eigenschaften ausgesprochen wird (Rhet. 1390b
22. Thiergesch. 488b 18), was der Wahrheit nahe kommt ohne sie ganz zu er-
schöpfen: seine Erklärung des zweiten Wortes scheint hauptsächlich auf einer
von den Alten sehr beachteten Stelle des fünften Buches der Ilias (253) zu beru-
hen, in welcher Diomedes das Neutrum desselben anwendet um auszudrü-
cken, dass es nicht seine Geschlechtsart sei ausweichend zu kämpfen."
(Schmidt 1882b, 1, 323 f., teilweise Randstriche von N.s Hand) „Etwas weniger
einfach ist das Detail der Anwendungen desjenigen Wortes zu verstehen, das
wir durch ,edel‘ übersetzen, denn dieses steht ganz unter dem Einflüsse der
bei den Griechen allgemein waltenden Vorstellung eines scharfen Gegensatzes
zwischen der angeborenen und der durch Erlernen angeeigneten Tüchtigkeit.
Wenn man daher von den Fällen absieht, in denen dieses Adjektiv seine erste
so zu sagen physische Bedeutung festhält [...], so findet man, dass es fast im-
mer zur Bezeichnung einer menschlichen Weise dient, die ohne ein Dazwi-
schentreten der vermittelnden Reflexion das Richtige thut, weil sie nicht an-
ders kann, und sich demgemäss auch ganz so giebt, wie sie ist: einigermaassen
vergleichbar ist die deutsche sprüchwörtliche Redensart, jemand erscheine
und handle so, weil es ihm im Blute steckt. Auf diese Art klingen unsere Begrif-
fe natürlich, naiv, ursprünglich, offen darin an, freilich ohne dass einer dersel-
ben anders als mit Hinzufügung des Wortes ,edel' den Sinn des griechischen
einigermaassen decken könnte." (ebd., 325) Als idealtypischen Repräsentanten
dieses yewafog nennt Schmidt die Figur des Neoptolemos in Sophokles' Philok-
 
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