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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0229
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210 Zur Genealogie der Moral

der drei christlichen Kardinaltugenden zu Beginn des Abschnitts leitet diesen
Umkehrschluss ein, setzt sich mit der Inversion Dantes fort, um schließlich
in der Hassorgie der tertullianischen Gerichtsvision zu gipfeln. Der Genealoge
wendet hier einen klassischen Autoritätsbeweis an, der ja zum Standardreper-
toire sowohl des juristischen als auch des theologischen Argumentationsver-
fahrens gehört — und es unterliegt keinem Zweifel, dass N. hohe Autoritäten
aufbietet, mag die Thomas-Stelle auch apokryph und Tertullian als Montanist
auch vom ,wahren Glauben' abgefallen sein. Immerhin werden die verborge-
nen Motive des Christentums nicht einfach von einem befangenen Gegner be-
hauptet, sondern vielmehr durch Quellen dokumentiert. Freilich ist damit
nicht ausgemacht, ob die Auswahl aus dem Universum möglicher Quellen aus-
gewogen ist, und ob die Zeugnisse für die befragten Zeugen repräsentativ sind.
Vielmehr unterliegt N.s Leserschaft der Suggestionskraft des Autoritätsbewei-
ses (nach Sommer 2001, 96-99).
Overbeck hat in seinem Nachlass übrigens den N. wohlbekannten Orienta-
listen und Religionswissenschaftler Paul de Lagarde (vgl. Sommer 1998) mit
De spectaculis 30 assoziiert: „Seine Phantasieen über das Jüngste Gericht, sein
und seiner Gegner Schicksal dabei, erinnert mich auch mit ihrem Nachklang
von sich spreizender Rachsucht an den Schluss von Tertullian's de spectaculis"
(Overbeck 1995, 5, 101).
284, 32 poetas] Fälschlich heißt es in KSA 5, 284, 32: „poetäs". Das ist ein
Druckfehler; in der Erstausgabe steht unmissverständlich: „poetas" (Nietzsche
1887a, 33).
285, 7-10 quaestuariae filius (wie alles Folgende und insbesondere auch diese
aus dem Talmud bekannte Bezeichnung der Mutter Jesu zeigt, meint Tertullian
von hier ab die Juden)] Der „quaestuariae filius" ist der Sohn einer Dirne. Tat-
sächlich wird in der talmudischen Überlieferung wiederholt die legitime Ge-
burt Jesu und die Ehrbarkeit Marias angezweifelt (vgl. zu den Stellen und zur
Delegitimierungsfunktion dieses Zweifels Schäfer 2010, 45 f. u. 223 sowie Schä-
fer 2017, 16-18 u. 13 [Tertullian]; weitere Nachweise in Nietzsche 1998, 138).
N., der keine Talmud-Studien getrieben hat, dürfte die Information aus den
„adnotationes" von Overbeck (vgl. NK 284, 10-285, 22) gezogen haben. In den
Tertullian-Ausgaben in Overbecks Bibliothek fehlt sie ebenfalls (Tertullianus
1854, 32 u. Tertullianus 1837-1838, 1, 168).
285, 5 vivos] Fälschlich statt „visos", so auch schon im Druckmanuskript
(GSA 71/27,1, fol. 18v). Bei Lecky 1873, 1, 254, Fn. 1 sowie in der Ausgabe von
Tertullians Opera in Overbecks Bibliothek steht korrekt „visos" (Tertullianus
1854, 32).
285, 23 Per fidem] Lateinisch: „Durch den Glauben".
 
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