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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0310
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Stellenkommentar GM II 7, KSA 5, S. 304-305 291

chen Schicksale den „späten Geschlechtern" „ein Gesang" (KSA 2,
463, 6 f.) würden: „Also: wir leiden und gehen zu Grunde, damit es den Dich-
tern nicht an Stoff fehle — und diess ordnen gerade so die Götter Homer's
an, welchen an der Lustbarkeit der kommenden Geschlechter sehr viel gelegen
scheint, aber allzuwenig an uns, den Gegenwärtigen. — Dass je solche Gedan-
ken in den Kopf eines Griechen gekommen sind!" (ebd., 463, 8-13). Der Ausruf
am Schluss legt nahe, dass in MA II VM 189 diese Sicht nicht für die normale
griechische Welt- und Götteranschauung, sondern für eine eher deviante Son-
dermeinung gehalten wird. In GM II 7 wird sie hingegen zum griechischen Nor-
malfall, um die religionshistorische Kontinuität der Vorstellung zu beglaubi-
gen - bis hin zu den Vorstellungen eines unergründlichen Willkürgottes in den
Gnadentheologien von „Calvin und Luther" (304, 26 f.). In Leopold Schmidts
Ethik der alten Griechen schreibt N. zu dem mit doppeltem Randstrich markier-
ten Satz: „im Allgemeinen war allerdings die Vorstellung vorhanden, dass die
Götter die Urheber des von den Menschen begangenen Unrechts sein können"
(Schmidt 1882b, 1, 232, N.s Unterstreichung) groß an den Rand (teilweise abge-
schnitten): „[v]iel / [m]ehr: nur". Und das „nur" wird durch einem Strich ver-
bunden mit einem „Nur" in Schmidts Drucktext eines Zitates, das Odyssee I
32-34 dem Göttervater Zeus in den Mund legt: „Wunder, wie sehr doch klagen
die Sterblichen wider die Götter! Nur von uns sei Böses, vermeinen sie"
(Schmidt 1882b, 1, 232, N.s Unterstreichungen). Die Verantwortungslast für die
Übel wird durch N.s marginale Intervention ausschließlich den Göttern aufge-
bürdet - vor dem Hintergrund von MA II VM 189 darf man ergänzen: Weil die
Götter Freude daran haben, wenn Menschen Böses tun.
305, 6 der „Herakles der Pflicht" war auf einer Bühne] Nach der auf Prodikos
von Keos zurückgehenden moralisierenden Erzählung stand der junge Hera-
kles einst am Scheideweg zwischen Tugend und Laster (Xenophon: Memorabi-
lien des Sokrates II 1, 23-34) - und selbstverständlich hat er sich nach Wunsch
der „Moral-Philosophen Griechenlands (305, 3 f.) öffentlichkeitswirksam für
die Tugend entschieden, während der Kyniker Antisthenes an den novot, den
Aufgaben des Herakles, Maß für das Gute nahm (vgl. Diogenes Laertius: De
vitis VI 3) und der Mythograph Herodoros von Herakleia Herakles' Taten als
Tugenden und Herakles' Leben als ein philosophisches verstanden wissen
wollte (FGrHist 1/1 31 F 14). Nach Schmidt 1882b, 1, 76 hat für die alten Griechen
„das eigentliche Urbild eines Helden [...], der das Schwerste erdulden muss
und tiefer Erniedrigung anheimfällt um zuletzt verklärt zu werden, [...] der My-
thos in Herakles ausgeprägt". Obwohl N. bekanntlich mit der einzigen Bild-
vignette seines gesamten Werks (vgl. dazu NK KSA 1, 23, 12 u. Schaberg 2002,
45), dem entfesselten Prometheus auf dem Titelblatt der ersten Auflage von GT
auf eine Tat des Herakles verwies (auch wenn Herakles dort selbst nicht sicht-
 
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