Stellenkommentar GM II 20, KSA 5, S. 328 371
Ahnherren (Heroen, Göttern) alle die Eigenschaften mit Zins zurückgegeben ha-
ben, die inzwischen in ihnen selbst offenbar geworden sind, die vornehmen
Eigenschaften.] Eine Vorüberlegung findet sich in NL 1884, KSA 11, 25[210], 68,
23-26: „Die ehemaligen Mittel, gleichartige dauernde Wesen durch lange
Geschlechter zu erzielen: unveräußerlicher Grundbesitz, Verehrung der Älteren
(Ursprung des Götter- und Heroenglaubens als der Ahnherren)". Orsucci
1996, 221 macht für dieses Notat allgemeine Parallelen zu Fustel de Coulanges
und Henry Sumner Maine geltend, ohne N. aber eine direkte Lektüre nachzu-
weisen. Auffällig ist, dass im ersten Band von Adolf Holms Griechischer Ge-
schichte, die allerdings erst 1886 erschienen ist, sich eine ähnliche Paarung
wie in 25[210] findet: „Die Macht liegt in den Aristokratien in den Händen der
Angehörigen der vornehmen Familien, die wir auch als Adlige bezeichnen kön-
nen. Das Wesen des Adels beruht auf Grundbesitz, der aus verhältnissmässig
entlegener Zeit herstammt. Herleitung der adligen Geschlechter von Heroen
oder Göttern, mit Namhaftmachung sämmtlicher Glieder, war in Griechenland
nicht selten. Dabei ist aber merkwürdig, dass die Namen, unter denen die Ge-
schlechter bekannt waren, meist nicht direct auf jene berühmten Heroen hin-
wiesen, sondern auf andere spätere Menschen." (Holm 1886, 308). Die Ent-
wicklung vom Ahnen- zum Heroenkult ist Thema bei Lippert 1881a, 15: „Der
Ahnencult wird ein Heroencult im besonderen Sinne und dessen Inhalt füllt
sich je nach der Geschichte der Völker." Und insbesondere für die Griechen
gelte: „Noch weniger hat der historische Heroencult je aufgehört als Ahnencult
im weiteren Sinne zu erscheinen" (ebd., 329).
20.
GM II 20 verfolgt die religiös-moralische Verschuldungslogik, die der vorange-
hende Abschnitt in der archaischen Ahnenverehrung gegründet sieht, bis zum
Römischen Reich und zum Christentum. Jetzt bewegen sich die Leser erstmals
historisch auf vertrautem Grund; man erfährt konkreter, auf welcher Zeitebene
die historische Erzählung angesiedelt ist. Die Eingangsthese besagt, dass trotz
des Endes „der blutverwandtschaftlichen Organisationsform der ,Gemein-
schaft'" (329, 9-11) und der Herausbildung größerer Sozialverbände die „Ge-
schlechts- und Stammgottheiten" (329, 15) fortbestanden und mit ihnen die
Hypothek der „unbezahlten", aber nach Ausgleich heischenden „Schulden"
(329, 16). Als Transferinstanz wird die sklavische Unterschicht angenommen,
die Götter und Kulte ihrer Herren übernommen hätte, „sei es durch Zwang, sei
es durch Unterwürfigkeit und mimicry" (329, 19 f.). Mehrere tausend Jahre lang
sei dabei ,,[d]as Schuldgefühl gegen die Gottheit" (329, 21 f.) immer größer ge-
Ahnherren (Heroen, Göttern) alle die Eigenschaften mit Zins zurückgegeben ha-
ben, die inzwischen in ihnen selbst offenbar geworden sind, die vornehmen
Eigenschaften.] Eine Vorüberlegung findet sich in NL 1884, KSA 11, 25[210], 68,
23-26: „Die ehemaligen Mittel, gleichartige dauernde Wesen durch lange
Geschlechter zu erzielen: unveräußerlicher Grundbesitz, Verehrung der Älteren
(Ursprung des Götter- und Heroenglaubens als der Ahnherren)". Orsucci
1996, 221 macht für dieses Notat allgemeine Parallelen zu Fustel de Coulanges
und Henry Sumner Maine geltend, ohne N. aber eine direkte Lektüre nachzu-
weisen. Auffällig ist, dass im ersten Band von Adolf Holms Griechischer Ge-
schichte, die allerdings erst 1886 erschienen ist, sich eine ähnliche Paarung
wie in 25[210] findet: „Die Macht liegt in den Aristokratien in den Händen der
Angehörigen der vornehmen Familien, die wir auch als Adlige bezeichnen kön-
nen. Das Wesen des Adels beruht auf Grundbesitz, der aus verhältnissmässig
entlegener Zeit herstammt. Herleitung der adligen Geschlechter von Heroen
oder Göttern, mit Namhaftmachung sämmtlicher Glieder, war in Griechenland
nicht selten. Dabei ist aber merkwürdig, dass die Namen, unter denen die Ge-
schlechter bekannt waren, meist nicht direct auf jene berühmten Heroen hin-
wiesen, sondern auf andere spätere Menschen." (Holm 1886, 308). Die Ent-
wicklung vom Ahnen- zum Heroenkult ist Thema bei Lippert 1881a, 15: „Der
Ahnencult wird ein Heroencult im besonderen Sinne und dessen Inhalt füllt
sich je nach der Geschichte der Völker." Und insbesondere für die Griechen
gelte: „Noch weniger hat der historische Heroencult je aufgehört als Ahnencult
im weiteren Sinne zu erscheinen" (ebd., 329).
20.
GM II 20 verfolgt die religiös-moralische Verschuldungslogik, die der vorange-
hende Abschnitt in der archaischen Ahnenverehrung gegründet sieht, bis zum
Römischen Reich und zum Christentum. Jetzt bewegen sich die Leser erstmals
historisch auf vertrautem Grund; man erfährt konkreter, auf welcher Zeitebene
die historische Erzählung angesiedelt ist. Die Eingangsthese besagt, dass trotz
des Endes „der blutverwandtschaftlichen Organisationsform der ,Gemein-
schaft'" (329, 9-11) und der Herausbildung größerer Sozialverbände die „Ge-
schlechts- und Stammgottheiten" (329, 15) fortbestanden und mit ihnen die
Hypothek der „unbezahlten", aber nach Ausgleich heischenden „Schulden"
(329, 16). Als Transferinstanz wird die sklavische Unterschicht angenommen,
die Götter und Kulte ihrer Herren übernommen hätte, „sei es durch Zwang, sei
es durch Unterwürfigkeit und mimicry" (329, 19 f.). Mehrere tausend Jahre lang
sei dabei ,,[d]as Schuldgefühl gegen die Gottheit" (329, 21 f.) immer größer ge-