418 Zur Genealogie der Moral
gen und deren Wandel an sich Theilnahme verdiente!] Diese Marginalisierung
der Künstler, die ja aus dem Gedankengang ,eliminiert' werden sollen, ist be-
merkenswert. Als Typus sind sie offenbar geschichtlich noch nicht fest genug
ausgeprägt, um zu den asketischen Idealen schon in ein stabiles Verhältnis
getreten zu sein. Die nachfolgende Behauptung, „die Künstler stehen nie für
sich, das Alleinstehn geht wider ihre tiefsten Instinkte" (345, 3 f.) impliziert
eine Fundamentalkritik am klassizistischen und romantischen Selbstverständ-
nis des autonomen Künstlers. GM III 25 wird den analogen Vorwurf auch an
die Wissenschaft (nicht die Wissenschaftler) adressieren, vgl. NK 402, 5 f.
344, 25 f. Eliminiren wir zunächst die Künstler: dieselben] KSA 14, 380 vermerkt
dazu als Korrektur in „He", also in N.s Handexemplar: „Zuletzt, was liegt da-
ran! - Die Herren Künstler". Der Verbleib dieses Handexemplars ist rätselhaft
(vgl. NK GM ÜK 1: Textentstehung und Druckgeschichte) - es ist nicht verse-
hentlich das Druckmanuskript gemeint, denn dort fehlen diese Korrekturen.
Vgl. auch NK 345, 14-20.
345, 6 „die Zeit gekommen war"] Zitat aus Lukas 9, 51.
345, 11-14 (dabei noch nicht in Anschlag gebracht, ob im neuen Deutschland
ein Künstler ohne die Milch frommer, reichsfrommer Denkungsart überhaupt
möglich gewesen wäre)] Die Klammerbemerkung, die gegen Wagners willfähri-
ge Anpassung an die reichsdeutschen Verhältnisse ab 1871, seine liebedieneri-
sche Beziehung zum bayerischen König Ludwig II. und seine Bayreuther Fest-
spiele 1876 unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. stichelt, persifliert einen
Monolog Wilhelm Tells aus Friedrich Schillers gleichnamigem Drama (4. Auf-
zug, 3. Szene), bevor der Freiheitskämpfer den tyrannischen Landvogt Gessler
niederstreckt: „Ich lebte still und harmlos — das Geschoss / War auf des Wal-
des Thiere nur gerichtet, / Meine Gedanken waren rein von Mord — / Du hast
aus meinem Frieden mich heraus / Geschreckt; in gärend Drachengift hast du /
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt" (Schiller 1844, 5, 107). N.
spielt gerne mit dem Zitat, vgl. NK KSA 5, 165, 29 f.
345, 14-20 Und damit sind wir bei der ernsthafteren Frage angelangt: was be-
deutet es, wenn ein wirklicher Philosoph dem asketischen Ideale huldigt, ein
wirklich auf sich gestellter Geist wie Schopenhauer, ein Mann und Ritter mit erze-
nem Blick, der den Muth zu sich selber hat, der allein zu stehn weiss und nicht
erst auf Vordermänner und höhere Winke wartet?) KSA 14, 380 vermerkt, N.
habe diesen Passus in seinem Handexemplar gestrichen. Allerdings ist der Ver-
bleib dieses Handexemplars unklar, vgl. NK GM ÜK 1: Textentstehung und
Druckgeschichte sowie NK 344, 25 f.
345, 17 f. Ritter mit erzenem Blick] Das ist ein verkürztes Selbstzitat aus GT 20:
„Da möchte sich ein trostlos Vereinsamter kein besseres Symbol wählen kön-
gen und deren Wandel an sich Theilnahme verdiente!] Diese Marginalisierung
der Künstler, die ja aus dem Gedankengang ,eliminiert' werden sollen, ist be-
merkenswert. Als Typus sind sie offenbar geschichtlich noch nicht fest genug
ausgeprägt, um zu den asketischen Idealen schon in ein stabiles Verhältnis
getreten zu sein. Die nachfolgende Behauptung, „die Künstler stehen nie für
sich, das Alleinstehn geht wider ihre tiefsten Instinkte" (345, 3 f.) impliziert
eine Fundamentalkritik am klassizistischen und romantischen Selbstverständ-
nis des autonomen Künstlers. GM III 25 wird den analogen Vorwurf auch an
die Wissenschaft (nicht die Wissenschaftler) adressieren, vgl. NK 402, 5 f.
344, 25 f. Eliminiren wir zunächst die Künstler: dieselben] KSA 14, 380 vermerkt
dazu als Korrektur in „He", also in N.s Handexemplar: „Zuletzt, was liegt da-
ran! - Die Herren Künstler". Der Verbleib dieses Handexemplars ist rätselhaft
(vgl. NK GM ÜK 1: Textentstehung und Druckgeschichte) - es ist nicht verse-
hentlich das Druckmanuskript gemeint, denn dort fehlen diese Korrekturen.
Vgl. auch NK 345, 14-20.
345, 6 „die Zeit gekommen war"] Zitat aus Lukas 9, 51.
345, 11-14 (dabei noch nicht in Anschlag gebracht, ob im neuen Deutschland
ein Künstler ohne die Milch frommer, reichsfrommer Denkungsart überhaupt
möglich gewesen wäre)] Die Klammerbemerkung, die gegen Wagners willfähri-
ge Anpassung an die reichsdeutschen Verhältnisse ab 1871, seine liebedieneri-
sche Beziehung zum bayerischen König Ludwig II. und seine Bayreuther Fest-
spiele 1876 unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. stichelt, persifliert einen
Monolog Wilhelm Tells aus Friedrich Schillers gleichnamigem Drama (4. Auf-
zug, 3. Szene), bevor der Freiheitskämpfer den tyrannischen Landvogt Gessler
niederstreckt: „Ich lebte still und harmlos — das Geschoss / War auf des Wal-
des Thiere nur gerichtet, / Meine Gedanken waren rein von Mord — / Du hast
aus meinem Frieden mich heraus / Geschreckt; in gärend Drachengift hast du /
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt" (Schiller 1844, 5, 107). N.
spielt gerne mit dem Zitat, vgl. NK KSA 5, 165, 29 f.
345, 14-20 Und damit sind wir bei der ernsthafteren Frage angelangt: was be-
deutet es, wenn ein wirklicher Philosoph dem asketischen Ideale huldigt, ein
wirklich auf sich gestellter Geist wie Schopenhauer, ein Mann und Ritter mit erze-
nem Blick, der den Muth zu sich selber hat, der allein zu stehn weiss und nicht
erst auf Vordermänner und höhere Winke wartet?) KSA 14, 380 vermerkt, N.
habe diesen Passus in seinem Handexemplar gestrichen. Allerdings ist der Ver-
bleib dieses Handexemplars unklar, vgl. NK GM ÜK 1: Textentstehung und
Druckgeschichte sowie NK 344, 25 f.
345, 17 f. Ritter mit erzenem Blick] Das ist ein verkürztes Selbstzitat aus GT 20:
„Da möchte sich ein trostlos Vereinsamter kein besseres Symbol wählen kön-