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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0454
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Stellenkommentar GM III 7, KSA 5, S. 349 435

(vgl. z. B. Kemp 1939, 44) und auch in Schopenhauers Misogynie (vgl. Schopen-
hauer 1873-1874, 6, 649-662) und Sexualitätsverachtung ist es greifbar, ob-
wohl dieser nie die alte Formel „instrumentum diaboli" dafür benutzt hat.
Wenn er jedoch über Sexualität nachdenkt, ist der Teufel nicht weit: „Geht
man, bei der Auffassung der Welt, vom Dinge an sich, dem Willen zum Leben,
aus; so findet man als dessen Kern, als dessen größte Koncentration, den Gene-
rationsakt: dieser stellt sich dann dar als das Erste, als der Ausgangspunkt: er
ist das punctum saliens des Welteies und die Hauptsache. Welch ein Kontrast
hingegen, wenn man von der als Erscheinung gegebenen, empirischen Welt,
der Welt als Vorstellung ausgeht! Hier nämlich stellt jener Akt sich dar als ein
ganz Einzelnes und Besonderes, von untergeordneter Wichtigkeit, ja, als eine
verdeckte und versteckte Nebensache die sich nur einschleicht, eine paradoxe
Anomalie, die häufigen Stoff zum Lachen giebt. Es könnte uns jedoch auch
bedünken, der Teufel habe nur sein Spiel dabei verstecken wollen: denn der
Beischlaf ist sein Handgeld und die Welt sein Reich. Hat man denn nicht be-
merkt, wie iliico post coitum cachinnus auditur Diaboli? welches, ernstlich ge-
sprochen, darauf beruht, daß die Geschlechtsbegierde, zumal wenn, durch Fi-
xiren auf ein bestimmtes Weib, zur Verliebtheit koncentrirt, die Quintessenz
der ganzen Prellerei dieser nobeln Welt ist; da sie so unaussprechlich, unend-
lich und überschwänglich viel verspricht und dann so erbärmlich wenig hält."
(Schopenhauer 1873-1874, 6, 338. Übersetzung des Zitats: „Kurz nach dem Bei-
schlaf ist das Gelächter des Teufels zu hören.") Die instrumentum diaboli-Stelle
aus GM III 7 greift später übrigens Thomas Mann wiederholt und ohne deren
nachweisende Nennung auf - z. B. in den Betrachtungen eines Unpolitischen,
wo er den „philanthropischen Literaten" verunglimpft, für den „Geschlechts-
liebe und politische Philanthropie, d. h. Demokratie" zusammengehören, „in
striktem Gegensatz zur christlichen Kirche und zu Schopenhauer, welche im
,Weibe' ein instrumentum diaboli erblickten" (Mann 1920, 472).
349, 27 ohne Hegel] Die auf Kant folgende deutsche Philosophie wollte Scho-
penhauer als „,Periode der Unredlichkeit'" betrachtet wissen: „Als Heroen die-
ser Periode glänzen Fichte und Schelling, zuletzt aber auch der selbst ihrer
ganz unwürdige und sehr viel tiefer als diese Talent-Männer stehende, plumpe,
geistlose Scharlatan Hegel" (Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 147). Vgl. NK
KSA 5, 130, 28-34.
349, 31-350, 1 sein Zorn war, ganz wie bei den antiken Cynikern, sein Labsal,
seine Erholung, sein Entgelt, sein remedium gegen den Ekel, sein Glück] An sich
wenden sich die antiken Kyniker wie dann noch viel entschiedener die ihnen
nachfolgenden Stoiker gegen den Affekt des Zornes, weil er den Seelenhaus-
halt in Unordnung bringe (vgl. Niehues-Pröbsting 1979, 192). In dem Lukian
 
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