Stellenkommentar GM III 7, KSA 5, S. 350 437
wesen zurück, für die gilt, was die (sich von Darwin abgrenzende) Evolutions-
biologie erkannt zu haben glaubt: „Wenn die Organismen lange Zeit zwischen
dem Maximum /268/ und Minimum jeder einzelnen Existenzbedingung hin
und her geschwankt haben, kommen sie durch Ausgleichung der Gegensätze
und Extreme, welche der Zuchtwahl, oder vielmehr der nivellirenden und aus-
lesenden Wirkung der äußern Umstände zu verdanken ist, zu jenen mittleren,
den Verhältnissen genau angepaßten Formen, Größen, Stoffen und Kräften,
welche eine vollendete Benutzung aller zur Verfügung stehenden Vortheile
durch ganz präcise Organe und Functionen ermöglichen." (Herrmann 1887,
267 f. N.s Anstreichungen, mit Randstrich markiert.) Vor N. ist der dann im 20.
und 21. Jahrhundert inflationär gebrauchte Begriff des Optimums - des „Bes-
ten" als eingedeutschtem substantiviertem Superlativ des lateinischen Adjek-
tivs bonum - in der deutschsprachigen Philosophie kaum nachweisbar, so sehr
er seit Leibniz' Optimismus selbstverständlicher Bestandteil der akademisch-
lateinischen Schulsprache ist. Am Ende des 19. Jahrhunderts scheint er sich
besonders in der deutschsprachigen, naturwissenschaftlichen Literatur als
qualitativer Gegenbegriff zum quantitativen Maximum zu verbreiten (nament-
lich vom „Optimum der Temperatur" ist häufiger die Rede) und über N.s Lektü-
re von Herrmann 1887 in die Philosophie, schließlich ins allgemeine Feuille-
ton-Vokabular einzuwandern. Außer in GM III 7 kommt er bei N. nur noch in
GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 33, KSA 6, 132, 4 sowie an sehr wenigen
Brief- und Nachlassstellen von 1887/88 vor, jeweils mit biologischer oder klima-
tologischer Akzentuierung.
Die Bezeichnung „bete philosophe" wird N. in seinem Brief an Reinhart
von Seydlitz vom 12. 02 1888 auf sich selbst anwenden: „Ein Thier verkriecht
sich in seine Höhle, wenn es krank ist; so thut es auch la bete philosophe."
(KSB 8/KGB III 5, Nr. 989, S. 248, Z. 7f., vgl. KGW IX 11, Z II 9, 22, 28 und zur
Höhlenmetapher an dieser Stelle Zanetti 2000, 316 f. Auch Blumenberg 1989,
633 zitiert die Briefstelle). Aurenque 2018, 49 setzt die Selbstoptimierungsüber-
legungen in GM III 7 in Beziehung zu N.s persönlicher Diätetik, wie sie bei-
spielsweise in EH Warum ich so klug bin dokumentiert ist (dazu vgl. NK 6/2,
S. 394 f.).
350, 23 „höher ist als alle Vernunft"] Philipper 4, 7.
350, 25-28 (— es ist nicht sein Weg zum „Glück", von dem ich rede, sondern
sein Weg zur Macht, zur That, zum mächtigsten Thun, und in den meisten Fällen
thatsächlich sein Weg zum Unglück)] Diese Klammerbemerkung, die sich ein
wenig kokett von der von Aristoteles bis in die Aufklärung vorherrschenden
eudaimonistischen Grundorientierung in der Ethik abwendet, wonach alle
Menschen von Natur aus nach Glück streben sollen (Aristoteles: Nikomachische
wesen zurück, für die gilt, was die (sich von Darwin abgrenzende) Evolutions-
biologie erkannt zu haben glaubt: „Wenn die Organismen lange Zeit zwischen
dem Maximum /268/ und Minimum jeder einzelnen Existenzbedingung hin
und her geschwankt haben, kommen sie durch Ausgleichung der Gegensätze
und Extreme, welche der Zuchtwahl, oder vielmehr der nivellirenden und aus-
lesenden Wirkung der äußern Umstände zu verdanken ist, zu jenen mittleren,
den Verhältnissen genau angepaßten Formen, Größen, Stoffen und Kräften,
welche eine vollendete Benutzung aller zur Verfügung stehenden Vortheile
durch ganz präcise Organe und Functionen ermöglichen." (Herrmann 1887,
267 f. N.s Anstreichungen, mit Randstrich markiert.) Vor N. ist der dann im 20.
und 21. Jahrhundert inflationär gebrauchte Begriff des Optimums - des „Bes-
ten" als eingedeutschtem substantiviertem Superlativ des lateinischen Adjek-
tivs bonum - in der deutschsprachigen Philosophie kaum nachweisbar, so sehr
er seit Leibniz' Optimismus selbstverständlicher Bestandteil der akademisch-
lateinischen Schulsprache ist. Am Ende des 19. Jahrhunderts scheint er sich
besonders in der deutschsprachigen, naturwissenschaftlichen Literatur als
qualitativer Gegenbegriff zum quantitativen Maximum zu verbreiten (nament-
lich vom „Optimum der Temperatur" ist häufiger die Rede) und über N.s Lektü-
re von Herrmann 1887 in die Philosophie, schließlich ins allgemeine Feuille-
ton-Vokabular einzuwandern. Außer in GM III 7 kommt er bei N. nur noch in
GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 33, KSA 6, 132, 4 sowie an sehr wenigen
Brief- und Nachlassstellen von 1887/88 vor, jeweils mit biologischer oder klima-
tologischer Akzentuierung.
Die Bezeichnung „bete philosophe" wird N. in seinem Brief an Reinhart
von Seydlitz vom 12. 02 1888 auf sich selbst anwenden: „Ein Thier verkriecht
sich in seine Höhle, wenn es krank ist; so thut es auch la bete philosophe."
(KSB 8/KGB III 5, Nr. 989, S. 248, Z. 7f., vgl. KGW IX 11, Z II 9, 22, 28 und zur
Höhlenmetapher an dieser Stelle Zanetti 2000, 316 f. Auch Blumenberg 1989,
633 zitiert die Briefstelle). Aurenque 2018, 49 setzt die Selbstoptimierungsüber-
legungen in GM III 7 in Beziehung zu N.s persönlicher Diätetik, wie sie bei-
spielsweise in EH Warum ich so klug bin dokumentiert ist (dazu vgl. NK 6/2,
S. 394 f.).
350, 23 „höher ist als alle Vernunft"] Philipper 4, 7.
350, 25-28 (— es ist nicht sein Weg zum „Glück", von dem ich rede, sondern
sein Weg zur Macht, zur That, zum mächtigsten Thun, und in den meisten Fällen
thatsächlich sein Weg zum Unglück)] Diese Klammerbemerkung, die sich ein
wenig kokett von der von Aristoteles bis in die Aufklärung vorherrschenden
eudaimonistischen Grundorientierung in der Ethik abwendet, wonach alle
Menschen von Natur aus nach Glück streben sollen (Aristoteles: Nikomachische