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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0464
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Stellenkommentar GM III 8, KSA 5, S. 352-353 445

tungswandel der drei Tugenden aus Leckys Sittengeschichte Europas ziehen,
deren besonderes Augenmerk der Demut gilt, dem „eigentliche[n] Princip und
[...] [der] Wurzel der sittlichen Eigenschaften des Mönchs" (Lecky 1879, 1, 139).
Den Historiker interessieren die Verschiebungen im Wertegefüge: „Das Chris-
tenthum wies zum ersten Male den servilen Tugenden einen hervorragenden
Platz in dem sittlichen Typus an. Demuth, Gehorsam, Sanftmuth, Geduld, Erge-
bung sind Haupt- oder Grundtugenden in dem christlichen Charakter" (ebd.,
2, 54; ausführlich zur Umwertung der Demut, die erst zur Kardinalstugend ge-
worden sei, als die einzelnen Anachoreten sich zu Mönchsgemeinschaften
zusammenfanden, ebd., 2, 150-153). Aus seinem Brief an Overbeck vom
23. 02. 1887 geht hervor, dass N. Charles-Forbes-Rene, Comte de Montalemberts
Les moines d'Occident depuis Saint Benoit jusqu'a Saint Bernard kannte (KSB 8/
KGB III 5, Nr. 804, S. 28, Z. 53-57). Für Montalembert gehört zum Inbegriff des
Mönchs, dass er auf das verzichtet, was normalen Christen erlaubt ist. Und da
kommen die drei Begriffe prominent ins Spiel: „II s'astreint ä un genre de chas-
tete, de soumission et de pauvrete qui n'est pas exige de tous les chretiens"
(Montalembert 1860-1877, 1, 42. „Er verpflichtet sich zu einer Art Keuschheit,
Demut und Armut, die nicht von allen Christen verlangt wird").
352, 24 f. Willen zur „Wüste“] Vgl. NK 351, 12-19.
352, 32-353, 1 oh wie anders sieht sie aus, als die Gebildeten sich eine Wüste
träumen! — unter Umständen sind sie es nämlich selbst, diese Gebildeten] Vgl.
NK 351, 12-19.
353, 3 f. für sie ist sie lange nicht romantisch und syrisch genug] Die „Wüste"
der Philosophen sieht also durchaus prosaisch, unscheinbar, alltäglich aus -
keineswegs so, wie man sich die Wüsten Ägyptens und Syriens vorstellte, in
die sich seit dem späten 3. Jahrhundert christliche Einsiedler, die sogenannten
Wüstenväter in kompromissloser Weltabwendung zurückzogen. Die asketische
Faszination der Wüste, von der bereits die biblischen Berichte über Jesu' Versu-
chung zehren (Matthäus 4, 1; Markus 1, 12 f.; Lukas 4, 1), stand N. nicht nur
durch Gespräche mit seinem Freund Franz Overbeck vor Augen, der 1864 seine
Jenenser Habilitationsprobevorlesung „Ueber die Anfänge des Mönchthums"
gehalten und wiederholt auf das Thema zurückgekommen ist (Overbeck 1994a,
1, 13-37 u. ebd., 1-11 die Einleitung von Niklaus Peter). Durch die Lektüren
beispielsweise der Werke Renans, Burckhardts, Lipperts und Leckys konnte N.
eintauchen in die Wüstenwelt des Judentums und der frühen Christen (beson-
ders eindringlich bei Lecky 1879, 2, 83-113. „Es ist wahr, dass die Selbstqual
einige Jahrhunderte lang als der Hauptmassstab der menschlichen Vollkom-
menheit betrachtet wurde, dass Hunderttausende der frömmsten Menschen in
die Wüste flohen, um sich durch Kasteiung beinahe zum Zustande der wilden
 
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