Stellenkommentar GM III 14, KSA 5, S. 370-371 491
zweier Aufsätze für die Juli- und August-Ausgabe von Schmeitzner's Internatio-
naler Monatsschrift 1882 veröffentlicht worden. Die Nummern der Zeitschrift
sind in N.s Bibliothek erhalten, NPB 690).
In ihrer monographischen „Würdigung" von Dühring zitiert Helene Drus-
kowitz (vgl. z. B. NK KSA 5, 50, 17 f.) den gesamten Passus 370, 10-26 und kom-
mentiert ihn wie folgt: „Doch ist diese Stelle in jeder Beziehung für Nietzsche
characteristisch und als ein unbewußter Racheakt der geringeren und schwä-
cheren Natur an der höheren, stärkeren, gesunden, an dem ,Rache-Apostel'
Dühring aufzufassen. Wir fürchten daß in die Kategorie der ,physiologisch Ver-
unglückten' Allen voran Professor Nietzsche selbst wird einzureihen sein.
Denn es kommt ihm immer mehr der Sinn für einfach menschliche Empfindun-
gen und für natürliches Denken abhanden, er schwelgt in immer 1621 haltlose-
ren und zugleich gefährlicheren Paradoxien, gefällt sich in immer abstoßende-
ren Gesalbader, und Großmannssucht und Dünkelhaftigkeit nehmen immer
bedenklichere Dimensionen bei ihm an. [...] Einer der glänzendsten Stilisten
und geistvollsten Köpfe unserer Zeit, täuscht er sich und die Welt über die
gleichwohl bestehende Insufficienz seines Wesens und den Mangel an selb-
ständigen Gedanken, es wären denn solche, die jeder Haltbarkeit und Berechti-
gung entbehren. So ist er nach jahrzehntelangem Umhertasten zu Resultaten
gelangt, die mit Leichtigkeit ad absurdum können geführt oder geradezu als
ungeheuerlich müssen bezeichnet werden, wie z. B. die Behauptung, daß die
fortschreitende ,Moralisirung' der Menschheit den Untergang des höheren
menschlichen Typus bedeute, eine Anschauung, die eben in einer grundfal-
schen Auffassung des Humanitätsideals wurzelt." (Druskowitz 1889, 61 f.) Düh-
ring selbst hat in einer äußerst scharfen Aufzeichnung von 1896 wenigstens
privatim auf N. repliziert; dieses Notat ist veröffentlicht und kommentiert von
Rauh 2018.
371, 6 Fort mit dieser „verkehrten Welt"!] Die Wendung „verkehrte Welt" taucht
in N.s Nachlass schon früh auf und findet später dann auch ins Werk Eingang
(z. B. MA I 484, KSA 2, 317, 7; MA II VM 217, KSA 2, 471, 2, vgl. NL 1880, KSA 9,
5[22], 185, 19 f.; NL 1880/81, KSA 9, 10[E94], 435, 27 u. 436, 7). Sie ist keineswegs
an Hegel gebunden, wie die Herausgeber in Nietzsche 1998, 155 f. suggerieren,
sondern ist längst sprichwörtlich, ja gassenläufig, beispielsweise durch die
Oper Die verkehrte Welt von Georg Philipp Telemann nach einem Text von Jo-
hann Philipp Praetorius aus dem Jahr 1728 (nach der 1718 uraufgeführten Ko-
mödie Le monde renverse von Alain Rene Le Sage und Jacques-Philippe d'Orne-
val). Ludwig Tieck nimmt mit seinem „historischen Schauspiel" Die verkehrte
Welt von 1798 den auch auf deutsch längst etablierten Topos auf, der schon
bei N.s frühen philosophischen Lektüren etwa von Eduard von Hartmanns Phi-
losophie des Unbewussten (Hartmann 1869, 579) zu einer fahlen Metapher ge-
zweier Aufsätze für die Juli- und August-Ausgabe von Schmeitzner's Internatio-
naler Monatsschrift 1882 veröffentlicht worden. Die Nummern der Zeitschrift
sind in N.s Bibliothek erhalten, NPB 690).
In ihrer monographischen „Würdigung" von Dühring zitiert Helene Drus-
kowitz (vgl. z. B. NK KSA 5, 50, 17 f.) den gesamten Passus 370, 10-26 und kom-
mentiert ihn wie folgt: „Doch ist diese Stelle in jeder Beziehung für Nietzsche
characteristisch und als ein unbewußter Racheakt der geringeren und schwä-
cheren Natur an der höheren, stärkeren, gesunden, an dem ,Rache-Apostel'
Dühring aufzufassen. Wir fürchten daß in die Kategorie der ,physiologisch Ver-
unglückten' Allen voran Professor Nietzsche selbst wird einzureihen sein.
Denn es kommt ihm immer mehr der Sinn für einfach menschliche Empfindun-
gen und für natürliches Denken abhanden, er schwelgt in immer 1621 haltlose-
ren und zugleich gefährlicheren Paradoxien, gefällt sich in immer abstoßende-
ren Gesalbader, und Großmannssucht und Dünkelhaftigkeit nehmen immer
bedenklichere Dimensionen bei ihm an. [...] Einer der glänzendsten Stilisten
und geistvollsten Köpfe unserer Zeit, täuscht er sich und die Welt über die
gleichwohl bestehende Insufficienz seines Wesens und den Mangel an selb-
ständigen Gedanken, es wären denn solche, die jeder Haltbarkeit und Berechti-
gung entbehren. So ist er nach jahrzehntelangem Umhertasten zu Resultaten
gelangt, die mit Leichtigkeit ad absurdum können geführt oder geradezu als
ungeheuerlich müssen bezeichnet werden, wie z. B. die Behauptung, daß die
fortschreitende ,Moralisirung' der Menschheit den Untergang des höheren
menschlichen Typus bedeute, eine Anschauung, die eben in einer grundfal-
schen Auffassung des Humanitätsideals wurzelt." (Druskowitz 1889, 61 f.) Düh-
ring selbst hat in einer äußerst scharfen Aufzeichnung von 1896 wenigstens
privatim auf N. repliziert; dieses Notat ist veröffentlicht und kommentiert von
Rauh 2018.
371, 6 Fort mit dieser „verkehrten Welt"!] Die Wendung „verkehrte Welt" taucht
in N.s Nachlass schon früh auf und findet später dann auch ins Werk Eingang
(z. B. MA I 484, KSA 2, 317, 7; MA II VM 217, KSA 2, 471, 2, vgl. NL 1880, KSA 9,
5[22], 185, 19 f.; NL 1880/81, KSA 9, 10[E94], 435, 27 u. 436, 7). Sie ist keineswegs
an Hegel gebunden, wie die Herausgeber in Nietzsche 1998, 155 f. suggerieren,
sondern ist längst sprichwörtlich, ja gassenläufig, beispielsweise durch die
Oper Die verkehrte Welt von Georg Philipp Telemann nach einem Text von Jo-
hann Philipp Praetorius aus dem Jahr 1728 (nach der 1718 uraufgeführten Ko-
mödie Le monde renverse von Alain Rene Le Sage und Jacques-Philippe d'Orne-
val). Ludwig Tieck nimmt mit seinem „historischen Schauspiel" Die verkehrte
Welt von 1798 den auch auf deutsch längst etablierten Topos auf, der schon
bei N.s frühen philosophischen Lektüren etwa von Eduard von Hartmanns Phi-
losophie des Unbewussten (Hartmann 1869, 579) zu einer fahlen Metapher ge-