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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0586
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Stellenkommentar GM III 24, KSA 5, S. 399 567

christliche Frage, die die meisten Repräsentanten moderner Wissenschaft
schon zu N.s Zeit längst abgelegt haben?
399, 12-18 Als die christlichen Kreuzfahrer im Orient auf jenen unbesiegbaren
Assassinen-Orden stiessen, jenen Freigeister-Orden par excellence, dessen un-
terste Grade in einem Gehorsame lebten, wie einen gleichen kein Mönchsorden
erreicht hat, da bekamen sie auf irgend welchem Wege auch einen Wink über
jenes Symbol und Kerbholz-Wort, das nur den obersten Graden, als deren Secre-
tum, vorbehalten war: „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt"...] Als Assassinen wur-
de der militante Arm der mittelalterlichen schiitischen Glaubensgemeinschaft
der Nizariten bezeichnet, die sich sowohl gegen die westlich-christlichen Inva-
soren als auch gegen die Sunniten gewaltsam zur Wehr zu setzen wussten und
mit Mordanschlägen die Moral der Feinde zermürbten. Die kollektive Phantasie
der Europäer haben die Assassinen seit den Kreuzzügen nachhaltig beschäf-
tigt, so dass ihr Name in mehreren Sprachen wie dem Französischen und dem
Englischen zum Synonym für (Meuchel-)Mörder geworden ist. In N.s Nachlass
sind sie von 1884 an präsent (NL 1884, KSA 11, 24[340], 101, 5; 26[225], 208,
25 f.), ihr nach GM III 24 „den obersten Graden" vorbehaltenes „Secretum" (Ge-
heimnis) (399, 17 f.) wird in NL 1884, KSA 11, 25[304], 88, 15 ohne Provenienzan-
gabe zitiert: „,Nichts ist wahr, alles ist erlaubt'." (Vgl. Za IV Der Schatten,
KSA 4, 340, 11 und Vorarbeiten dazu in NL 1884, KSA 11, 25[322], 95, 4 f.; 26[25],
155, 6 f.; 31[51], 384, 28 u. 32[8]34, 403, 19). Als (mittelbare) Quelle für N.s As-
sassinen-Kenntnisse wird in der Forschung Joseph von Hammer-Purgstalls Die
Geschichte der Assassinen aus morgendländischen Quellen aus dem Jahr 1818
vermutet (vgl. Thatcher 1989, 399; Kuhn 1994, 268-274 u. Köster 1998, 31 f.);
eine Vermutung, die noch dadurch gestärkt wird, dass sich bei Hammer-Purg-
stall auch jener dem Propheten Mohammed zugeschriebene Ausspruch findet,
der, ähnlich wie in GM III 24 die (angebliche) Assassinen-Losung, in W I8, 237,
7-12 (KGW IX 5) als „Symbolon und Kerbholz-Wort" erscheint: „,Das Paradies
ist unter dem Schatten der Schwerter' — 'auch' ein Sym=/bolon und Kerbholz-
'Wort™, an dem sich 'Seelen' vornehmer 'und kriegerischer Abkunft verrathen™
Seelen erkennen und / ausspüren, 'errathen.™ —" (vgl. NL 1885/86, KSA 12,
2[19], 75, 11-13). Bei Hammer 1818, 15 erscheint der Satz im Sperrdruck, siehe
NK KSA 6, 319, 2 f. (Baier 1984, 68, Fn. 66 macht darauf aufmerksam, dass N.
ihn in englischer Fassung auch bei Emerson 1858, 179 gefunden haben kann).
N.s mögliche Lektüre von Hammer 1818 könnte durch Friedrich Albert Langes
Geschichte der Materialismus angeregt worden sein, die den Assassinen zwei
kurze Absätze widmet und auf Hammer-Purgstall verweist, jedoch das „Secre-
tum", auf das es N. ankommt, gerade nicht nennt (vgl. Stack 1983, 273 f. u.
Kuhn 1994, 271-273).
 
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