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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0031
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12 Der Fall Wagner

eifriger Leser periodischer Publikationen wie N. im Einzelnen über die Her-
kunft dieser Argumente hätte Rechenschaft geben müssen. 1877 besorgte Wil-
helm Tappert bereits die erste Auflage eines Wagner-Lexicons, dessen Untertitel
lautet: Wörterbuch der Unhöflichkeit, enthaltend grobe, höhnende, gehässige und
verläumderische Ausdrücke, welche gegen den Meister Richard Wagner, seine
Werke und seine Anhänger von den Feinden und Spöttern gebraucht worden sind.
Diese für das zeitgenössische Klima der Auseinandersetzung um Wagner sehr
aufschlussreiche Quelle wurde von Fritzsch, N.s zeitweiligem Verleger, heraus-
gebracht. In den Verlagsanzeigen am Ende von Tapperts Wagner-Lexicon wird
nicht nur für die Werke von Carl Fuchs und Richard Wagner, sondern auch für
N.s Geburt der Tragödie sowie Erwin Rohdes Verteidigungsschrift Afterphilolo-
gie Werbung gemacht (Tappert 1877, [49]). Zwar ist Tapperts Wagner-Lexicon in
N.s Bibliothek nicht erhalten, und auch sonst erwähnt N. das Werk nirgends.
Aber es fällt auf, dass N. an zahlreichen Stellen Vorwürfe gegen Wagner und
seine Anhänger in der Diktion der zeitgenössischen Kritik vorträgt, deren
schönste Blüten Tappert mit Zitaten dokumentiert.
Die Verlagsanzeigen in Tapperts pro-wagnerischem Lexicon für N.s Schrif-
ten sind symptomatisch für die Problemlage, in der sich N. noch 1888 wieder-
fand: Nicht nur Eduard Hanslick galt Die Geburt der Tragödie als ein Beispiel
des verabscheuungswürdigen Wagnerianismus (vgl. Länderer / Schuster 2002,
116 f.). N. hatte sich in den Augen des Publikums noch nicht aus Wagners
Schatten lösen können — trotz seiner Abgrenzung von Wagner, die sich bereits
in der Vierten Unzeitgemässen Betrachtung: Richard Wagner in Bayreuth ange-
kündigt und in Menschliches, Allzumenschliches ohne Namensnennung ent-
schieden fortgesetzt hatte, um, wie es rückblickend 1886 in MA I Vorwort 1
heißt, sich nicht weiter „über Richard Wagner's unheilbare Romantik" (KSA 2,
14, 21 f.) zu betrügen. In einer der ersten philosophiegeschichtlichen Über-
sichtsdarstellungen, die N. einen Platz einräumten, nämlich in der ersten Auf-
lage von Richard Falckenbergs Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus
von Kues bis zur Gegenwart wurde N. damals noch zu den „verständnisvollsten
Verehrern des Frankfurter Philosophen [sc. Schopenhauers] und des Bayreu-
ther Dramatikers", also Wagners gerechnet (Falckenberg 1886, 422). Falcken-
berg kannte N.s einschlägige Werke durchaus aus erster Hand, hatte er doch
schon 1873 Die Geburt der Tragödie und 1876 für das Musikalische Wochenblatt
auch die Vierte Unzeitgemässe Betrachtung über Wagner freundlich besprochen
(Kr I, 32 u. 62). In späteren Auflagen von Falckenbergs Geschichte der neueren
Philosophie sollte N. dann kontinuierlich mehr Raum gewinnen; 1886 erschien
er in philosophiehistorischer Perspektivierung noch als Epigone Schopenhau-
ers und Wagners.
In WA flossen freilich keineswegs nur die selbstgemachten und angelese-
nen Erfahrungen mit und um Wagner ein, sondern ebenso die allgemeinen
 
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