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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0084
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Stellenkommentar WA 3, KSA 6, S. 18 65

lein" heißt es in W II 3, 161: „oh wie sie davon ihren Vortheil zu ziehen weiß,
die arglistige weibliche, ,Ewig-Weibliche'!“ (KSA 14, 403, korrigiert nach KGW
IX 7, W II 3, 161, 1). Mit dem „Ewig-Weiblichen" spielt N. auf die Schlussverse
des Chorus mysticus in Goethes Faust II an: „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns
hinan." (Verse 12110-12111) Wagner hat die Metapher vom Ewig-Weiblichen
strapaziert (Nohl o. J., 39 spricht vom „wahrhaft Weiblichen"). So heißt es im
dritten Teil von Oper und Drama zu Beethovens Neunter Symphonie: „Diese
Melodie war der Liebesgruß des Weibes an den Mann; das umfassende ,ewig
Weibliche' bewährte sich hier liebevoller als das egoistische Männliche, denn
es ist die Liebe selbst, und nur als höchstes Liebesverlangen ist das Weibliche
zu fassen, offenbare es sich nun im Manne oder im Weibe. Der geliebte Mann
wich bei jener wundervollen Begegnung dem Weibe noch aus: was für dieses
Weib der höchste, opferduftigste Genuß eines ganzen Lebens war, war für den
Mann nur ein flüchtiger Liebesrausch. Erst der Dichter, dessen Absicht wir
uns hier darstellten, fühlt sich zur herzinnigsten Vermählung mit dem ,ewig
Weiblichen' der Tonkunst so unwiderstehlich stark gedrängt, daß er in dieser
Vermählung zugleich seine Erlösung feiert." (Wagner 1871-1873, 4, 183 = Wag-
ner 1907, 146) Zum Wissen der „Weiblein" siehe auch Za I Von alten und jungen
Weiblein, KSA 4, 84-86; in EH Warum ich so gute Bücher schreibe 5, KSA 6,
305, 30 f. fragt sich N., ob er vielleicht „der erste Psycholog des Ewig-Weibli-
chen" sei.
18, 11 f. er condescendirt alsbald zum Weibe] N. benutzt 1888 das Verb
„condescendiren" an vier Stellen, und zwar jeweils, um darzustellen, worauf
sich Wagner eingelassen habe. Neben 18, 11 f. und NL 1888, KSA 13, 14[52],
243, 16 f. (KGW IX 8, W II 5, 161, 6-12) sind dies EH Warum ich so klug bin 5,
KSA 6, 289, 15 f. („Was ich Wagnern nie vergeben habe? Dass er zu den Deut-
schen condescendirte") sowie NW Wie ich von Wagner loskam, KSA 6,
431, 24-27 („Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland
war, condescendirte er Schritt für Schritt zu Allem, was ich verachte — selbst
zum Antisemitismus..."). Die zweimalige Hervorhebung des sonst bei N. (und
übrigens auch bei Wagner) kaum benutzten Prädikats weckt Aufmerksamkeit:
Auch wenn das Wort „Kondeszendenz" literal einfach nur „Herablassung, Will-
fährigkeit" (Meyer 1885-1892, 9, 1005) bedeutet, handelt es sich zunächst um
den theologischen Fachbegriff für das Herabsteigen des Gottessohns in die
irdische Welt durch seine Inkarnation (Philipper 2, 5-11). Angesichts der Wag-
ner von N. nachgesagten Erlöser- und Göttlichkeitsansprüche ist es nur konse-
quent, sein Verhalten in einem christologischen Begriff zu ironisieren.
18, 13-18 In vielen Fällen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den
berühmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein Sich-Einnisten in
 
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