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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0086
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Stellenkommentar WA 3, KSA 6, S. 18 67

Identifikation mit Goethe nahe. Politycki 1989, 279 bemerkt, dass N. Hehn zwar
genau gelesen habe, „sein Urteil steht jedoch zu diesem Zeitpunkt — die Lek-
türe ist für das Frühjahr 1888 belegt — längst fest".
18, 19 moralinsauren] N. hat Komposita mit „moralin..." in Analogie zur (anti-
semitischen) Wendung „judainfreies Judentum" bei Paul de Lagarde gebildet
(Lagarde 1878, 1, 31), siehe Andler 1921, 2, 362. Der Ausdruck „Judain" kommt
in AC 56, KSA 6, 240, 5 u. NL 1887/8, KSA 13, 11[384], 182, 9 (KGW IX 7, W II 3,
15, 2) vor; „moralinfrei" z. B. in AC 2, KSA 6, 170, 9, NL 1888, KSA 13, 14[138],
323, 7 (KGW IX 8, W II 5, 74, 12) sowie an anderen Stellen im späten Werk und
Nachlass (vgl. Sommer 2000a, 99, Fn. 240 und KSA 14, 761) — ein Indiz dafür,
dass N. 1888 Lagarde noch einmal zur Hand genommen hat. Lagardes antise-
mitisches Schimpfwort wird von N. umgemünzt zu einer medizinisch klingen-
den Losung, mit der die alte Moral insgesamt zur Disposition gestellt wird. In
Analogie zu „Judain" und „Moralin" (das als Substantiv bei N. nicht vorkommt)
steht „Nihilin" in JGB 208, KSA 5, 137, 13 f. Vgl. ausführlich Sommer 1998.
18, 20 f. Er war den Deutschen immer anstössig, er hat ehrliche Bewunderer
nur unter Jüdinnen gehabt.] Hehn 1888, 142: „Nur die jüdischen Weiber, die
jetzt immer mehr zu Worte kamen, waren weniger streng und ahnten etwas
von Goethes nicht bloß dichterischer, sondern auch sittlicher Größe: sie hatten
eben mehr Mutterwitz im Kopfe als die guten und lieben, aber conventionell
beschränkten, mit England durch alte Stammesgleichheit verbundenen, blon-
den Bewohnerinnen Niedersachsens." Ebd., 161 f.: „Zwar waren, wie schon
oben bemerkt, Berliner Jüdinnen, in deren Mitte Rahel Levin, die Ersten gewe-
sen, die seine Größe verkündigten, aber nicht, weil natürliche Sympathie sie
zu ihm /162/ zog, sondern weil der jüdische Scharfsinn, unterstützt durch weib-
liche, nervöse, sensitive Ahnung, unter den gangbaren literarischen Münzen
den Perlen- und Ducatenwerth der goethischen Dichtungen am frühesten
erkannte." (Vgl. auch ebd., 41).
18, 22 f. Schiller, der „edle" Schiller, der ihnen mit grossen Worten um die Ohren
schlug, — der war nach ihrem Herzen.] Vgl. z. B. Hehn 1888, 41: „In den letzten
Jahren des Jahrhunderts, als das Doppelgestirn Schiller und Goethe mit uner-
hörtem Glanze am poetischen Himmel strahlte, verhielt sich Berlin noch immer
stumpfsinnig und ablehnend, der dortige praktisch-moralische Empirismus
wußte Alles besser und beide Dichter mußten die Berliner Kritik bald höh-
nisch, bald grob zurückweisen und züchtigen (Henriette Herz, ihr Leben und
ihre Erinnerungen, von Fürst, Berlin 1850, S. 133 ff.). Eher noch fand Schiller,
wegen des mehr rhetorischen und prächtigen Charakters seiner Dichtungen,
Anerkennung in Berlin; ihm selbst und seiner Jungfrau von Orleans ward ein
glänzender Triumph zu Theil, während Goethes Natürliche Tochter ebenda-
 
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