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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0092
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Stellenkommentar WA 4, KSA 6, S. 19-20 73

1848 dichterisch ausgeführt und in einzelnen Stücken sogar musikalisch ent-
worfen: er hatte ihn der neuen Welt, die er geahnt, mit schwellenden Segeln
und in überwältigendem Hoffen entgegengeführt. Jetzt kam es denn auch zum
vollen Bruch mit dieser ihn umgebenden Welt". Nohl betont zugleich die natio-
nale Gesinnung von Wagners Aufbegehren und legt keine allegorisch-politi-
sche Interpretation des Rings vor, wie N. dies tut. „Die Empörung Wagners war
die Empörung der sich selbst entfremdeten besseren Seele unserer Nation."
(Ebd., S. 45).
19, 31-20, 5 „Woher stammt alles Unheil in der Weit?" fragte sich Wagner. Von
„alten Verträgen": antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch:
von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von Alledem, worauf die alte Welt,
die alte Gesellschaft ruht. „ Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft
man die alte Gesellschaft ab?" Nur dadurch, dass man den „Verträgen" (dem
Herkommen, der Moral) den Krieg erklärt. Das thut Siegfried.] N. gibt
hier — bis hin zur „Runenschrift" (19, 29 f.) — eine prosaische Version der
Geschichte, die die Nornen im Vorspiel zur Götterdämmerung, zum „dritten
Tag" des Rings des Nibelungen von Wotan erzählen, der aus der Weltesche
seinen Speer geschnitten hatte, bevor Siegfried ihn zerstörte: „Treu berath'ner /
Verträge Runen / schnitt Wotan / in des Speeres Schaft: / den hielt er als Haft
der Welt. / Ein kühner Held / zerhieb im Kampfe den Speer; / in Trümmern
sprang / der Verträge heiliger Haft." (Wagner 1871-1873, 6, 253 f. = Wagner
1907, 6, 179).
20, 5-10 Er beginnt früh damit, sehr früh: seine Entstehung ist bereits eine
Kriegserklärung an die Moral — er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur
Welt... Nicht die Sage, sondern Wagner ist der Erfinder dieses radikalen Zugs;
an diesem Punkte hat er die Sage corrigirt...] Bei Wagner wird Siegfried im
Inzest der Zwillinge Sieglinde und Siegmund gezeugt, die ihrerseits die natür-
lich unehelichen Sprösslinge Wotans sind. In der Zweiten Aventüre des Nibe-
lungenlieds entstammt Siegfried hingegen der ganz konventionellen Ehe von
König Siegmund und Königin Sieglinde von Xanten. Vgl. NL 1888, KSA 13,
15[99], 465, 28-466, 4: „Gegen die Helden Wagners ist zunächst einzuwenden,
daß sie allesammt einen krankhaften Geschmack haben — sie lieben lauter
Weiber, die ihnen zuwider sein müßten... Sie lieben lauter unfruchtbare Wei-
ber — alle diese ,Heldinnen' verstehen sich nicht darauf ein Kind zu machen —
die Ausnahme ist interessant genug: um (Sieglinde) zu einem Kinde zu verhel-
fen, hat Wagner der Sage Gewalt angethan — und vielleicht nicht nur der Sage:
nach Wagnerscher Phy(si)ologie ist nur die Blutschande eine Gewährschaft für
Kinder..." N. hatte übrigens die von Karl Lachmann besorgte, kritische Ausgabe
des mittelhochdeutschen Nibelungenlieds aus seiner privaten Bibliothek bereits
1875 verkauft (Der Nibelunge. Noth und die Klage 1859, vgl. NPB 670).
 
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