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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0095
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76 Der Fall Wagner

im individuellen Lebenslauf, ist zu allen Zeiten allgemein beliebt gewesen, und
sogar in /216/ denkenden, aller Superstition abgeneigten Köpfen findet er sich
bisweilen unerschütterlich fest [...] Zuvörderst läßt sich ihm entgegensetzen,
daß er, nach Art alles Götterglaubens, nicht eigentlich aus der Erkenntniß,
sondern aus dem Willen entsprungen, nämlich zunächst das Kind unserer
Bedürftigkeit sei. Denn die Data, welche bloß die Erkenntniß dazu geliefert
hätte, ließen sich vielleicht darauf zurückführen, daß der Zufall, welcher uns
hundert arge, und wie durchdacht tückische Streiche spielt, dann und wann
ein Mal auserlesen günstig ausfällt, oder auch mittelbar sehr gut für uns sorgt.
In allen solchen Fällen erkennen wir in ihm die Hand der Vorsehung, und
zwar am deutlichsten dann, wann er, unserer eigenen Einsicht zuwider, ja, auf
von uns verabscheuten Wegen, uns zu einem beglückenden Ziele hingeführt
hat; wo wir alsdann sagen tune bene navigavi, cum naufragium feci, und der
Gegensatz zwischen Wahl und Führung ganz unverkennbar, zugleich aber zum
Vortheil der letzteren, fühlbar wird. Eben dieserhalb trösten wir, bei widrigen
Zufällen, uns auch wohl mit dem oft bewährten Sprüchlein ,wer weiß wozu es
gut ist', — welches eigentlich aus der Einsicht entsprungen ist, daß, obwohl
der Zufall die Welt beherrscht, er doch den Irrthum zum Mitregenten hat
und, weil wir Diesem, eben so sehr als Jenem, unterworfen sind, vielleicht
eben Das ein Glück ist, was uns jetzt als ein Unglück erscheint. So fliehen wir
dann vor den Streichen des einen Welttyrannen zum andern, indem wir vom
Zufall an den Irrthum appelliren." (Schopenhauer 1873-1874, 5, 215 f.) Diesen
Kontext der Kritik am Vorsehungsglauben nimmt N. beim Zitieren des Zenon-
Spruchs auch in NL 1875, KSA 8, 3[19], 20, 18 auf (vgl. NL 1888, KSA 13, 16[44],
501, 26).
20, 34-21, 1 das Nichts, die indische Circe winkt...) Die Zauberin Kirke, die
nach Homer: Odyssee X die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt
und Odysseus ein Jahr lang auf ihrer Insel festhält, dient N. nicht selten als
Personifikation verführerischer und zugleich schädlicher, abstrakter Gewalten,
vgl. z. B. zur Moral als „Circe der Menschheit" NK KSA 6, 305, 21 f. Wagner
selbst parallelisiert das Schicksal seiner nordischen Helden mit den Gestalten
der griechischen Mythologie und kommt in der Mittheilung an meine Freunde
auch auf die Kirke zu sprechen (Wagner 1907, 4, 289), ohne sie jedoch nach
Indien zu verlegen. Die indische Kirke ist die Verlockung des Nichts, das N.
z. B. in FW Vorrede 3, KSA 3, 350, 19-22 und GM I 6, KSA 5, 266, 2-4 mit
dem Nirvana des Hinduismus und Buddhismus identifiziert. Auf dieses Nichts,
nämlich die Aufhebung des Willens, zielt Schopenhauers Philosophie, die
immer wieder ihre Hochachtung vor den philosophisch-religiösen Überliefe-
rungen Indiens kundtut. N. hingegen hält dieses Versprechen des erlösenden
 
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