Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0096
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar WA 4, KSA 6, S. 20-21 77

Nichts für einen zauberischen Betrug, der von decadence zeuge (vgl. 21, 9 f.).
Siehe zur Interpretation auch Lütkehaus 2012.
21, 1-5 Brünnhilde, die nach der ältern Absicht sich mit einem Liede zu Ehren
der freien Liebe zu verabschieden hatte, die Welt auf eine socialistische Utopie
vertröstend, mit der „Alles gut wird", bekommt jetzt etwas Anderes zu thun. Sie
muss erst Schopenhauer studiren] Vgl. NK 20, 16 f. Dass Schopenhauers Den-
ken, wie N. suggeriert, tatsächlich auf die Finalisierung des Rings eingewirkt
habe, ist eine Deutung, die Wagner selbst verworfen hätte. In Cosima Wagners
Tagebuch heißt es am 22. Dezember 1874: „Wir sprechen vom Ring des Nibelun-
gen, und R. [Wagner] meint, wie merkwürdig das sei, daß ohne Kenntnis des
Schopenhauer'schen Systems er dieses so entworfen, er meint: ,Hätte ich es
gekannt, so wäre ich weniger unbefangen in der Wahl des Ausdrucks gewe-
sen.'" (C. Wagner 1988, 2, 879) Tatsächlich lag der Text der Ring-Tetralogie
bereits vor, als Wagner Schopenhauer zum ersten Mal las.
N. meint mit Brünnhildes „Lied[.] zu Ehren der freien Liebe" jenen Passus
am Ende der Götterdämmerung, von dem es in Wagners Gesammelten Schriften
heißt: „Vor der musikalischen Ausführung des Gedichtes waren an dieser Stelle
noch die folgenden Strophen der noch einmal sich zurückwendenden Brünn-
hilde zugetheilt." (Wagner 1871-1873, 6, 361 = Wagner 1907, 6, 256) Diese
Strophen lauten: „Ihr, blühenden Lebens / bleibend Geschlecht: / was ich nun
euch melde, / merket es wohl! / Sah't ihr vom zündenden Brand / Siegfried
und Brünnhild' verzehrt; / sah't ihr des Rheines Töchter / zur Tiefe entführen
den Ring: / nach Norden dann / blickt durch die Nacht: / erglänzt dort am
Himmel / ein heiliges Glühen, / so wisset all' — / daß ihr Walhall's Ende
gewahrt! — / Verging wie Hauch / der Götter Geschlecht, / lass' ohne Walter /
die Welt ich zurück: / meines heiligsten Wissens Hort / weis' ich der Welt nun
zu. — / Nicht Gut, nicht Gold, / noch göttliche Pracht; / nicht Haus, nicht
Hof, / noch herrischer Prunk; / nicht trüber Verträge / trügender Bund, / nicht
heuchelnder Sitte / hartes Gesetz: / selig in Lust und Leid / läßt — die Liebe
nur sein." (Wagner 1871-1873, 6, 361 f. = Wagner 1907, 6, 256. N. hat die letzten
10 Verse in seiner Ausgabe markiert.) Tatsächlich später erst in Brünnhildes
Abschiedsrede eingefügt wurde der folgende Passus, der dann gemäß der
Erläuterung nicht musikalisch umgesetzt werden sollte: „Hatte schon mit die-
sen Strophen der Dichter in sentenziösem Sinne die musikalische Wirkung des
Drama's im Voraus zu ersetzen versucht, so fühlte er im Verlaufe der langen
Unterbrechungen, die ihn von der musikalischen Ausführung seines Gedichtes
abhielten, zu einer, jener Wirkung noch besser entsprechenden Fassung der
letzten Abschiedsstrophe sich bewogen, welche er hier folgend ebenfalls noch
mittheilt. // Führ' ich nun nicht mehr / Nach Walhall's Feste, / wiss't ihr, wohin
ich fahre? / Aus Wunschheim zieh' ich fort, / Wahnheim flieh' ich auf immer; /
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften