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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0131
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112 Der Fall Wagner

Halluzinationen" (2. Oktober 1872, C. Wagner 1988, 1, 579). Bourget wiederum
assoziiert das Halluzinatorische mit der Träumerexistenz von Hamlet: „Hamlet
demeure le type de l'irresistible invasion du reve, qui, meme ä l'heure des
epees tendues, du poison verse, du furieux combat, immobilise tout ä coup le
visionnaire dans une /293/ hallucination captivante, dont rien ne l'eveillera
jamais tout ä fait." (Bourget 1886, 292 f. „Hamlet bleibt der Typus der unwider-
stehlichen Invasion des Traumes, der sogar im Moment der gezogenen Schwer-
ter, des vergossenen Giftes, des wütenden Kampfes den Visionär plötzlich in
einer fesselnden Halluzination festsetzt, aus der ihn nichts jemals ganz aufwe-
cken wird").
27, 33-28, 3 nicht von Tönen, sondern von Gebärden. Zu ihnen sucht er erst
die Ton-Semiotik. Will man ihn bewundern, so sehe man ihn hier an der Arbeit:
wie er hier trennt, wie er kleine Einheiten gewinnt, wie er diese belebt, heraus-
treibt, sichtbar macht] Diese Bemerkungen über die „Gebärde" beziehen sich
auf Überlegungen, die Wagner etwa im dritten Teil von Oper und Drama ange-
stellt hatte, und die um eine Kunst der „feinsten Übergänge" kreisen: „Je
weiter sich nun die Gebärde von ihrer bestimmtesten, zugleich aber auch
beschränktesten Grundlage des Tanzes entfernt; je sparsamer sie ihre schärfs-
ten Accente vertheilt, um in den mannigfaltigsten und feinsten Übergängen
des Ausdruckes zu einem unendlich fähigen Sprachvermögen zu werden, —
desto mannigfaltiger und feiner gestalten sich nun auch die Tonfiguren der
Instrumentensprache, die, um das Unaussprechliche der Gebärde überzeu-
gend mitzutheilen, einen melodischen Ausdruck eigenthümlichster Art
gewinnt, dessen unermeßlich reiche Fähigkeit sich weder nach Inhalt noch
Form in der Wortsprache bezeichnen läßt, eben weil dieser Inhalt und diese
Form durch die Orchestermelodie sich bereits vollständig dem Gehöre
kundgiebt, und nur noch von dem Auge wiederum empfunden werden kann,
und zwar als Inhalt und Form der, jener Melodie entsprechenden, Gebärde."
(Wagner 1871-1873, 4, 221 = Wagner 1907, 4, 176 f.).
27, 34-28, 1 Ton-Semiotik] In AC 32, KSA 6, 203, 30 setzt N. „Semiotik" mit
„Zeichenrede" in eins. Der Begriff der Semiotik bezeichnet im 19. Jahrhundert
keine allgemeine Zeichenlehre, sondern ist auf den medizinischen Bereich
beschränkt: „Semiotile (Semiologie, Phänomenologie, griech.), die ärztliche
,Zeichenlehre', die Lehre, wie aus den Erscheinungen am Krankenbett Schlüsse
auf die bestehende Krankheit und ihren mutmaßlichen Verlauf zu machen
sind. Die S. bildet im Verein mit den physikalischen Untersuchungen, der Aus-
kultation und Perkussion, den Inhalt der ärztlichen Diagnostik, sie ist die
Grundlage für die Vorhersage (Prognose) u. das Heilverfahren (Therapie)."
(Meyer 1885-1892, 14, 853 f.) Wenn N. im Spätwerk über „Semiotik" spricht,
 
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