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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0141
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122 Der Fall Wagner

16[29], 490, 27-491, 7, wo der Vergleich zwischen Wagner und Hugo deutlicher
ausgeführt wird: „Die malerische Pracht und Gewalt des Tons, die Symbolik
von Klang, Rhythmus, Farbentönen der Harmonie und Disharmonie, die sug-
gestive Bedeutung der Musik, in Hinsicht auf andere Künste, die ganze mit
Wagner zur Herrschaft gebrachte Sinnlichkeit der Musik — das Alles hat
Wagner an der Musik erkannt, herausgezogen, entwickelt. Victor Hugo hat
etwas Verwandtes für die Sprache gethan: aber schon heute fragt man sich in
Frankreich im Fall Victor Hugo's, ob nicht zum Verderb der Sprache... ob nicht,
mit der Steigerung der Sinnlichkeit in der Sprache, die Vernunft, die Geistig-
keit, die tiefe Gesetzlichkeit in der Sprache heruntergedrückt worden ist? Daß
die Dichter in Frankreich Plastiker, daß die Musiker in Deutschland Schauspie-
ler und Cultur-Anpinseler geworden sind — sind das nicht Zeichen der deca-
dence?" Victor Hugo (1802-1885) selbst soll nach N.s einschlägigen Lektüren
Musik nicht ertragen haben (Goncourt 1887, 2, 12; N. hat die entsprechende
Stelle markiert); zu N.s Urteil über Hugo siehe auch NK KSA 6, 111, 8.
Ein Interesse an Hugo lässt sich in N.s Werk und Nachlass erst verhältnis-
mäßig spät feststellen. In seiner Bibliothek hat sich außer dem Shakespeare-
Buch (mit ein paar Eselsohren, Hugo 1864) kein Werk Hugos erhalten. Dabei
klingen N.s Bemerkungen wenig schmeichelhaft: „Victor Hugo: reich und
überreich an pittoresken Einfällen, mit Maler-Augen auf alles Sicht-
bare sehend, ohne Geschmack und Zucht, flach und demagogisch, skla-
visch vor allen klingenden Worten auf dem Bauch, ein Volks-Schmeichler, mit
der Evangelisten-Stimme für alle Niedrigen, Mißrathenen, Unterdrückten, aber
ohne eine Ahnung von intellektuellem Gewissen und vornehmer Größe. Sein
Geist wirkt auf die Franzosen in der Art eines alkoholischen Getränks, das
zugleich berauscht und dumm macht. Die Ohren klingen Einem, wenn sein
betäubendes Geschwätz losgeht: und man leidet, wie wenn ein Eisenbahn-Zug
uns durch einen dunklen Tunnel fährt." (NL 1884, KSA 11, 26[454], 271, 18-28,
vgl. Desprez 1884, 78) Hugo gilt N. dann als Inkarnation der Art und Weise,
wie sich „die Heerdenthiere heute den ,Höheren M(enschen)' denken" (NL
1885, KSA 11, 35[45], 532, 3 f., korrigiert nach KGW IX 4, W I 3, 85, 14, vgl. NL
1885, KSA 11, 34[85], 447, 25-27 = KGW IX 1, N VII 1, 140, 23-30 und die sehr
ausführliche Hugo-Karikatur in NL 1885, KSA 11, 38[6], 601, 16-603, 15).
Schließlich resümiert N. mit dem Journal des Goncourt, Hugo wolle als „Denker
gelten", während bei ihm doch zugleich „die Abwesenheit der Gedanken"
offensichtlich sei (NL 1887/88, KSA 13, 11[296], 123, 9-11, korrigiert nach KGW
IX 7, W II 3, 77, 6-8, vgl. Faguet 1887, 180; die Übertragung dieses Gedankens
der Gedankenlosigkeit auf Wagner dann in NL 1888, KSA 13, 15[12], 411, 21-23
u. KSA 13, 16[76], 511, 21 f.). Zur Zusammenschau von Hugo und Wagner, die in
WA 11, KSA 6, 37, 30-33 beide als Erscheinungen des kulturellen Niedergangs
 
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