Stellenkommentar WA 9, KSA 6, S. 32-33 139
das Wort ,Drama' dorischer Herkunft ist und nach dorischem Sprachgebrauch
,Ereignis', ,Geschichte' bedeutet, und zwar im Sinne der ,heiligen Geschichte',
der Ortslegende, auf der die Gründung des Kultus ruhte." (Mann 1990, 10, 47)
Natürlich ist — auch wenn dies der Mann-Forschung manchmal entgangen
sein mag — dieser „Philologieprofessor" niemand anderes als N., der hier
ungeniert plagiiert wird. Mann leitet daraus ein Theater-Programm ab, das N.
aber womöglich nicht behagt hätte, so sehr es wiederum das Vokabular aus
WA 9 aufnimmt: „Wollte man ,Drama' im Sinne eines Tuns, einer actio, über-
setzen, so müßte man zuvor den Begriff der ,Handlung' in den der ,heiligen
Handlung', des Weiheaktes umbiegen, und wie die erste dramatische Hand-
lung eine rituelle Handlung war, so scheint es in der Tat, daß immer das
Drama auf dem Gipfel seines Ehrgeizes diesen Sinn wieder anzunehmen
strebt." (Ebd.) Immerhin verfällt Mann nicht auf die angesichts des „Bühnen-
weihfestspiels" Parsifal naheliegende Behauptung, ausgerechnet der „Szeni-
ker" (ebd., 48) Wagner habe diesen religiös-antiken Sinn des Dramas revitali-
siert (vgl. NK 30, 6), aber er stellt einen anderen, in N.s letzten Schriften
abgelehnten Dichter in diese vorgeblich griechische Tradition: „,Drama' bedeu-
tet also kein ,Tun', sondern ein Geschehen, eine Begebenheit, und diesen Sinn
nimmt das Wort auch in dem antikisierenden deutschen Drama wieder an.
Unter Schillers Werken ist ja nicht allein ,Die Braut von Messina' sophokleisch
empfunden. ,Nicht einmal im Wilhelm Teil', sagt Georg Brandes in den ,Haupt-
strömungen', ,ist der Gesichtspunkt modern, im Gegenteil, in jeder Beziehung
hellenisch.'" (Ebd., 47) Die fragliche Stelle aus Brandes' Litteratur des 19. Jahr-
hunderts in ihren Hauptströmungen (Brandes 1887a, 2, 36) dürfte N. bekannt
gewesen sein — nur hatte Brandes dort keineswegs, wie Mann suggeriert, N.s
Theorie vom religiös-„hieratischen" Ursprung des Dramas vertreten.
33, 3 f. es ist nicht das Publikum Corneille's, das er zu schonen hatte] Vgl.
NK 32, 14-16.
33, 9 f. Princip des kleinsten Aufwandes von Kraft] Zunächst einmal liegen
diesem Prinzip physikalisch-biologische Überlegungen zugrunde, die N. in NL
1887, KSA 12, 10[138], 535, 13-25 (KGW IX 6, W II 2, 45, 12-28) resümiert:
„mechanistisch betrachtet, bleibt die Energie des Gesammt-werdens constant;
ökonomisch betrachtet, steigt sie bis zu einem Höhepunkt und sinkt von ihm
wieder herab in einem ewigen Kreislauf; dieser ,Wille zur Macht' drückt sich
in der Ausdeutung, in der Art des Kraftverbrauchs aus — Verwand-
lung der Energie in Leben und Leben in höchster Potenz erscheint demnach
als Ziel. Dasselbe Quantum Energie bedeutet auf den verschiedenen Stufen der
Entwicklung Verschiedenes: / — das, was das Wachsthum im Leben ausmacht,
ist die immer sparsamer und weiter rechnende Ökonomie, welche mit immer
das Wort ,Drama' dorischer Herkunft ist und nach dorischem Sprachgebrauch
,Ereignis', ,Geschichte' bedeutet, und zwar im Sinne der ,heiligen Geschichte',
der Ortslegende, auf der die Gründung des Kultus ruhte." (Mann 1990, 10, 47)
Natürlich ist — auch wenn dies der Mann-Forschung manchmal entgangen
sein mag — dieser „Philologieprofessor" niemand anderes als N., der hier
ungeniert plagiiert wird. Mann leitet daraus ein Theater-Programm ab, das N.
aber womöglich nicht behagt hätte, so sehr es wiederum das Vokabular aus
WA 9 aufnimmt: „Wollte man ,Drama' im Sinne eines Tuns, einer actio, über-
setzen, so müßte man zuvor den Begriff der ,Handlung' in den der ,heiligen
Handlung', des Weiheaktes umbiegen, und wie die erste dramatische Hand-
lung eine rituelle Handlung war, so scheint es in der Tat, daß immer das
Drama auf dem Gipfel seines Ehrgeizes diesen Sinn wieder anzunehmen
strebt." (Ebd.) Immerhin verfällt Mann nicht auf die angesichts des „Bühnen-
weihfestspiels" Parsifal naheliegende Behauptung, ausgerechnet der „Szeni-
ker" (ebd., 48) Wagner habe diesen religiös-antiken Sinn des Dramas revitali-
siert (vgl. NK 30, 6), aber er stellt einen anderen, in N.s letzten Schriften
abgelehnten Dichter in diese vorgeblich griechische Tradition: „,Drama' bedeu-
tet also kein ,Tun', sondern ein Geschehen, eine Begebenheit, und diesen Sinn
nimmt das Wort auch in dem antikisierenden deutschen Drama wieder an.
Unter Schillers Werken ist ja nicht allein ,Die Braut von Messina' sophokleisch
empfunden. ,Nicht einmal im Wilhelm Teil', sagt Georg Brandes in den ,Haupt-
strömungen', ,ist der Gesichtspunkt modern, im Gegenteil, in jeder Beziehung
hellenisch.'" (Ebd., 47) Die fragliche Stelle aus Brandes' Litteratur des 19. Jahr-
hunderts in ihren Hauptströmungen (Brandes 1887a, 2, 36) dürfte N. bekannt
gewesen sein — nur hatte Brandes dort keineswegs, wie Mann suggeriert, N.s
Theorie vom religiös-„hieratischen" Ursprung des Dramas vertreten.
33, 3 f. es ist nicht das Publikum Corneille's, das er zu schonen hatte] Vgl.
NK 32, 14-16.
33, 9 f. Princip des kleinsten Aufwandes von Kraft] Zunächst einmal liegen
diesem Prinzip physikalisch-biologische Überlegungen zugrunde, die N. in NL
1887, KSA 12, 10[138], 535, 13-25 (KGW IX 6, W II 2, 45, 12-28) resümiert:
„mechanistisch betrachtet, bleibt die Energie des Gesammt-werdens constant;
ökonomisch betrachtet, steigt sie bis zu einem Höhepunkt und sinkt von ihm
wieder herab in einem ewigen Kreislauf; dieser ,Wille zur Macht' drückt sich
in der Ausdeutung, in der Art des Kraftverbrauchs aus — Verwand-
lung der Energie in Leben und Leben in höchster Potenz erscheint demnach
als Ziel. Dasselbe Quantum Energie bedeutet auf den verschiedenen Stufen der
Entwicklung Verschiedenes: / — das, was das Wachsthum im Leben ausmacht,
ist die immer sparsamer und weiter rechnende Ökonomie, welche mit immer