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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0168
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Stellenkommentar WA 10, KSA 6, S. 35-36 149

nie bekundet: „Ich bin kein Musiker" (Wagner 1907, 10, 292, vgl. dazu den
sarkastischen Kommentar bei Hanslick 1884, 347).
36, 1 „Die Musik ist immer nur ein Mittel"] Zwar ist das kein wörtliches Wag-
ner-Zitat, aber die Quintessenz der Einleitung zu Wagners Oper und Drama,
die mit großer Emphase beansprucht, das Gebrechen der gegenwärtigen und
vergangenen Kunstform schonungslos aufzudecken: „der Irrthum in dem
Kunstgenre der Oper bestand darin, / daß ein Mittel des Ausdru-
ckes (die Musik) zum Zwecke, der Zweck des Ausdruckes (das Drama)
aber zum Mittel gemacht war" (Wagner 1871-1873, 3, 282 = Wagner 1907, 3,
231). N. scheint gegen diese Auffassung einer bloß instrumentellen Bedeutung
der Musik ihre Nicht-Instrumentalität, damit ihre Selbstzweckhaftigkeit vertei-
digen zu wollen — womit er durchaus in der Tradition Schopenhauers steht,
der der Musik als unmittelbarer Objektivation des Willens eine privilegierte
Stellung einräumt. In seiner Kritik an Wagners Oper und Drama, einem Werk,
das die Musik zum Mittel des Ausdrucks herabsetzt, folgt N. ebenfalls Schopen-
hauer: „Dies [sc. das Streben der Phantasie, die Unmittelbarkeit der Musik in
einem analogen Beispiel zu verkörpern] ist der Ursprung des Gesanges mit
Worten und endlich der Oper, — deren Text eben deshalb diese untergeordnete
Stellung nie verlassen sollte, um sich zur Hauptsache und die Musik zum blo-
ßen Mittel ihres Ausdrucks zu machen, als welches ein großer Mißgriff und
eine arge Verkehrtheit ist. Denn überall drückt die Musik nur die Quintessenz
des Lebens und seiner Vorgänge aus, nie diese selbst, deren Unterschiede
daher auf jene nicht allemal einfließen." (Die Welt als Wille und Vorstellung
Bd. 1, 3. Buch, § 52; Schopenhauer 1873-1874, 2, 309) N.s Insistieren auf der
Selbstzweckhaftigkeit der Musik scheint freilich in eine gewisse Spannung zu
WA 1 zu geraten, wo die Musik in den Dienst der philosophischen Selbstbefrei-
ung genommen wird (KSA 6, 14, 20-23).
36, 3 Aber so denkt kein Musiker.] Vgl. NK 35, 26 f.
36, 4 f. seine Musik ernst zu nehmen, tief zu nehmen, „weil sie Unendliches
bedeute"] Das ist so zwar kein Wagner-Zitat, erinnert aber an Passagen wie:
„Das, was die Musik ausspricht, ist ewig, unendlich und ideal; sie spricht nicht
die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht dieses oder jenes Individuums in
dieser oder jener Lage aus, sondern die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht
selbst, und zwar in den unendlich mannigfaltigen Motivirungen, die in der
ausschließlichen Eigenthümlichkeit der Musik begründet liegen, jeder andern
Sprache aber fremd und unausdrückbar sind. Jeder soll und kann nach seiner
Kraft, seiner Fähigkeit und seiner Stimmung, aus ihr genießen, was er zu
genießen und zu empfinden fähig ist!" (Wagner 1871-1873, 1, 183 = Wagner
1907, 1, 148 f.; die Stelle wird auch zitiert bei Glasenapp / Stein 1883, 842).
 
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