160 Der Fall Wagner
nen wird." (39, 8-12) Angesichts der Verachtung, die der späte N. gegen das
Deutsche Reich Bismarcks an den Tag legt (vgl. GD Was den Deutschen abgeht,
KSA 6, 103-110), ist die Parallele, die N. in 39, 5-8 zwischen dem Erfolg Wag-
ners und der Etablierung des Reiches zieht, sicher nicht als Kompliment
gemeint, erstickt die für Reich und Wagner gleichermaßen charakteristische
„Dressur" (39, 2) doch jede selbstständige Regung des Menschen. Mit der Ver-
bindung, die WA 11 zwischen Wagner und dem reichsdeutschen Militarismus
herstellt, gewinnt N.s Wagner-Polemik eine politische Dimension, die im Übri-
gen kontrastiert mit der von N. fast zeitgleich artikulierten Sympathie für die
gleichfalls dressurorientierte Kastengesellschaft nach Maßgabe des Manu-
Gesetzes (vgl. GD Die Verbesserer der Menschheit 3-4, KSA 6, 100-102; AC 56-
57, KSA 6, 240-244): Bei Manu scheint N. diese Dressur als „Züchtung", damit
als Ermöglichung eines höheren Typus Mensch gutzuheißen, während nach
ihm die zeitgenössisch reichsdeutsche, christlich kontaminierte (vgl. AC 61,
KSA 6, 250-252) Dressur der Menschen zu deren völliger Nivellierung führt.
38, 33 f. Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das
decadence-Ideal verlangt] Con espressione oder espressivo bedeutet nach Rie-
manns Musik-Lexikon „mit Ausdruck, gewöhnliche Bezeichnung solistischer
Stellen in Orchesterstimmen" (Riemann 1884b, 247). Wagner legte auf die Beto-
nung und den Ausdruck der einzelnen Stimme sowie auf die Verständlichkeit
des Gesagten im Dienste der dramatischen Aussage großen Wert. Bei einer
Auflistung seiner „fünf,Neins"' in NL 1887, KSA 12, 10[2], 454, 8 (KGW IX
6, W II 2, 141, 30) wird unter dem Stichwort „Kampf gegen die Romantik"
ein Charakteristikum dieser Romantik wie folgt beschrieben: „ein Nachmachen
der expressivsten Formen, furore espressivo nicht aus der Fülle, son-
dern dem Mangel" (ebd., 454, 19-21 = KGW IX 6, W II 2, 141, 39-43, ähnlich
NL 1887, KSA 12, 10[25], 469, 25 f. = KGW IX 6, W II 2, 121, 4-6). Auch N.
bediente sich selbst des „espressivo um jeden Preis", vgl. NK KSA 6, ÜK DD
2.3.
39, 4 f. Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine...] An dieser Stelle
sowie bei der Wiederholung 39, 8 hieß es in W II 7, 64 (KSA 14, 407) ursprüng-
lich: „Definition des Germanen: Moral und lange Beine". Vgl. NL 1888, KSA
13, 15[99], 465, 12-16: „Daß die lieben D(eutschen) dabei von Urgefühlen ger-
manischer Tüchtigkeit und Kraft zu schwärmen verstehen, gehört zu den
scherzhaften Anzeichen der psychologischen Cultur der Deutschen: — wir
Anderen sind bei W(agners) Musik im Hospital und, nochmals gesagt, sehr
interessirt..." Beispielsweise bei Hellwald 1876, 1, 527 heißt es: „Es würde nicht
schwer fallen, vom Standpuncte der modern-naturwissenschaftlichen Auffas-
sung des Lebens aus die Ansichten der alten Germanen über den Kampf in
nen wird." (39, 8-12) Angesichts der Verachtung, die der späte N. gegen das
Deutsche Reich Bismarcks an den Tag legt (vgl. GD Was den Deutschen abgeht,
KSA 6, 103-110), ist die Parallele, die N. in 39, 5-8 zwischen dem Erfolg Wag-
ners und der Etablierung des Reiches zieht, sicher nicht als Kompliment
gemeint, erstickt die für Reich und Wagner gleichermaßen charakteristische
„Dressur" (39, 2) doch jede selbstständige Regung des Menschen. Mit der Ver-
bindung, die WA 11 zwischen Wagner und dem reichsdeutschen Militarismus
herstellt, gewinnt N.s Wagner-Polemik eine politische Dimension, die im Übri-
gen kontrastiert mit der von N. fast zeitgleich artikulierten Sympathie für die
gleichfalls dressurorientierte Kastengesellschaft nach Maßgabe des Manu-
Gesetzes (vgl. GD Die Verbesserer der Menschheit 3-4, KSA 6, 100-102; AC 56-
57, KSA 6, 240-244): Bei Manu scheint N. diese Dressur als „Züchtung", damit
als Ermöglichung eines höheren Typus Mensch gutzuheißen, während nach
ihm die zeitgenössisch reichsdeutsche, christlich kontaminierte (vgl. AC 61,
KSA 6, 250-252) Dressur der Menschen zu deren völliger Nivellierung führt.
38, 33 f. Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das
decadence-Ideal verlangt] Con espressione oder espressivo bedeutet nach Rie-
manns Musik-Lexikon „mit Ausdruck, gewöhnliche Bezeichnung solistischer
Stellen in Orchesterstimmen" (Riemann 1884b, 247). Wagner legte auf die Beto-
nung und den Ausdruck der einzelnen Stimme sowie auf die Verständlichkeit
des Gesagten im Dienste der dramatischen Aussage großen Wert. Bei einer
Auflistung seiner „fünf,Neins"' in NL 1887, KSA 12, 10[2], 454, 8 (KGW IX
6, W II 2, 141, 30) wird unter dem Stichwort „Kampf gegen die Romantik"
ein Charakteristikum dieser Romantik wie folgt beschrieben: „ein Nachmachen
der expressivsten Formen, furore espressivo nicht aus der Fülle, son-
dern dem Mangel" (ebd., 454, 19-21 = KGW IX 6, W II 2, 141, 39-43, ähnlich
NL 1887, KSA 12, 10[25], 469, 25 f. = KGW IX 6, W II 2, 121, 4-6). Auch N.
bediente sich selbst des „espressivo um jeden Preis", vgl. NK KSA 6, ÜK DD
2.3.
39, 4 f. Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine...] An dieser Stelle
sowie bei der Wiederholung 39, 8 hieß es in W II 7, 64 (KSA 14, 407) ursprüng-
lich: „Definition des Germanen: Moral und lange Beine". Vgl. NL 1888, KSA
13, 15[99], 465, 12-16: „Daß die lieben D(eutschen) dabei von Urgefühlen ger-
manischer Tüchtigkeit und Kraft zu schwärmen verstehen, gehört zu den
scherzhaften Anzeichen der psychologischen Cultur der Deutschen: — wir
Anderen sind bei W(agners) Musik im Hospital und, nochmals gesagt, sehr
interessirt..." Beispielsweise bei Hellwald 1876, 1, 527 heißt es: „Es würde nicht
schwer fallen, vom Standpuncte der modern-naturwissenschaftlichen Auffas-
sung des Lebens aus die Ansichten der alten Germanen über den Kampf in