176 Der Fall Wagner
44, 22 f. Typisches Telegramm aus Bayreuth: bereits bereut.] Zwar kein
Telegramm, aber einen kurzen Brief schreibt N. am 25. 07. 1876 aus Bayreuth
von den dortigen Festspielen: „fast habe ich's bereut! Denn bisjetzt war's
jämmerlich. Von Sonntag Mittag bis Montag Nacht Kopfschmerzen, heute
Abspannung, ich kann die Feder gar nicht führen." (KSB 5, Nr. 544, S. 178,
Z. 3-5).
44, 28 f. Man kann nicht zween Herren dienen] Matthäus 6, 24.
45, 1 in ihrem Zeichen siegt seine Sache...] N. spielt auf die Prophezeiung an,
die Kaiser Konstantin I. mit der Erscheinung eines Kreuzes vor der Schlacht
an der Milvischen Brücke im Jahr 312 widerfahren sein soll: in hoc signo vinces
(„in diesem Zeichen wirst du siegen"). N. bemüht auch den lateinischen Wort-
laut gelegentlich, siehe NK KSA 6, 232, 15-20.
45, 2-7 Ah, dieser alte Räuber! Er raubt uns die Jünglinge, er raubt selbst noch
unsre Frauen und schleppt sie in seine Höhle... Ah, dieser alte Minotaurus! Was
er uns schon gekostet hat! Alljährlich führt man ihm Züge der schönsten Mäd-
chen und Jünglinge in sein Labyrinth, damit er sie verschlinge, — alljährlich into-
nirt ganz Europa „auf nach Kreta! auf nach Kreta!"...] Der kretische König Minos
hat nach der griechischen Mythologie Minotaurus, ein ihm vom rachsüchtigen
Poseidon geschicktes Stier-Mensch-Mischwesen, in ein Labyrinth einsperren
lassen. Jedes Jahr musste das tributpflichtige Athen sieben Knaben und sieben
Mädchen als Minotaurus-Futter nach Kreta schicken — bis Theseus dank des
Fadens von Minos' Tochter Ariadne sich im Labyrinth zurechtfinden und den
Minotaurus töten konnte. Der Theseus-Ariadne-Dionysos-Mythenkomplex (die
von Theseus schließlich verlassene Ariadne findet in Dionysos einen neuen
Partner) durchzieht N.s Spätwerk; die Identifikation von Cosima Wagner mit
Ariadne kehrt noch in N.s sogenannten Wahnsinnszetteln wieder: „Ariadne,
ich liebe Dich. Dionysos." (N. an Cosima Wagner, wohl 03. 01. 1889, fehlt in
KSB 8, ediert in KGB III 7/3,1, Nr. 1241a, S. 8.) N. hat seine eigenen Hoffnungen
nach Wagners Tod tatsächlich neben den „schönsten Mädchen" (wähnte er
tatsächlich, Cosima für sich gewinnen zu können?), auf die wagnerianisieren-
den Jünglinge, namentlich auf Heinrich von Stein gesetzt (vgl. NK 44, 15), der
als Erzieher von Siegfried Wagner die ursprünglich N. zugedachte Rolle über-
nommen hatte und sich trotz N.s Werbungsversuchen auch nach Wagners Tod
nicht davon überzeugen ließ, sich nun auf N.s Seite zu schlagen. Steins früher
Tod im Juni 1887 dürfte N. in seiner Assoziation vom jünglingfressenden Mino-
taurus Wagner bestärkt haben: „Der alte Verführer Wagner nimmt mir auch
nach seinem Tode noch den Rest von Menschen weg, auf die ich wirken
könnte." (N. an Malwida von Meysenbug, Ende Juli 1888, KSB 8, Nr. 1078,
S. 378, Z. 27-29).
44, 22 f. Typisches Telegramm aus Bayreuth: bereits bereut.] Zwar kein
Telegramm, aber einen kurzen Brief schreibt N. am 25. 07. 1876 aus Bayreuth
von den dortigen Festspielen: „fast habe ich's bereut! Denn bisjetzt war's
jämmerlich. Von Sonntag Mittag bis Montag Nacht Kopfschmerzen, heute
Abspannung, ich kann die Feder gar nicht führen." (KSB 5, Nr. 544, S. 178,
Z. 3-5).
44, 28 f. Man kann nicht zween Herren dienen] Matthäus 6, 24.
45, 1 in ihrem Zeichen siegt seine Sache...] N. spielt auf die Prophezeiung an,
die Kaiser Konstantin I. mit der Erscheinung eines Kreuzes vor der Schlacht
an der Milvischen Brücke im Jahr 312 widerfahren sein soll: in hoc signo vinces
(„in diesem Zeichen wirst du siegen"). N. bemüht auch den lateinischen Wort-
laut gelegentlich, siehe NK KSA 6, 232, 15-20.
45, 2-7 Ah, dieser alte Räuber! Er raubt uns die Jünglinge, er raubt selbst noch
unsre Frauen und schleppt sie in seine Höhle... Ah, dieser alte Minotaurus! Was
er uns schon gekostet hat! Alljährlich führt man ihm Züge der schönsten Mäd-
chen und Jünglinge in sein Labyrinth, damit er sie verschlinge, — alljährlich into-
nirt ganz Europa „auf nach Kreta! auf nach Kreta!"...] Der kretische König Minos
hat nach der griechischen Mythologie Minotaurus, ein ihm vom rachsüchtigen
Poseidon geschicktes Stier-Mensch-Mischwesen, in ein Labyrinth einsperren
lassen. Jedes Jahr musste das tributpflichtige Athen sieben Knaben und sieben
Mädchen als Minotaurus-Futter nach Kreta schicken — bis Theseus dank des
Fadens von Minos' Tochter Ariadne sich im Labyrinth zurechtfinden und den
Minotaurus töten konnte. Der Theseus-Ariadne-Dionysos-Mythenkomplex (die
von Theseus schließlich verlassene Ariadne findet in Dionysos einen neuen
Partner) durchzieht N.s Spätwerk; die Identifikation von Cosima Wagner mit
Ariadne kehrt noch in N.s sogenannten Wahnsinnszetteln wieder: „Ariadne,
ich liebe Dich. Dionysos." (N. an Cosima Wagner, wohl 03. 01. 1889, fehlt in
KSB 8, ediert in KGB III 7/3,1, Nr. 1241a, S. 8.) N. hat seine eigenen Hoffnungen
nach Wagners Tod tatsächlich neben den „schönsten Mädchen" (wähnte er
tatsächlich, Cosima für sich gewinnen zu können?), auf die wagnerianisieren-
den Jünglinge, namentlich auf Heinrich von Stein gesetzt (vgl. NK 44, 15), der
als Erzieher von Siegfried Wagner die ursprünglich N. zugedachte Rolle über-
nommen hatte und sich trotz N.s Werbungsversuchen auch nach Wagners Tod
nicht davon überzeugen ließ, sich nun auf N.s Seite zu schlagen. Steins früher
Tod im Juni 1887 dürfte N. in seiner Assoziation vom jünglingfressenden Mino-
taurus Wagner bestärkt haben: „Der alte Verführer Wagner nimmt mir auch
nach seinem Tode noch den Rest von Menschen weg, auf die ich wirken
könnte." (N. an Malwida von Meysenbug, Ende Juli 1888, KSB 8, Nr. 1078,
S. 378, Z. 27-29).