Stellenkommentar WA Epilog, KSA 6, S. 51-52 191
51, 32-52, 18 Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein
Kirchenvater! — Das Bedürfniss nach Erlösung, der Inbegriff aller christlichen
Bedürfnisse hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun: es ist die ehrlichste
Ausdrucksform der decadence, es ist das überzeugteste, schmerzhafteste Ja-
sagen zu ihr in sublimen Symbolen und Praktiken. Der Christ will von sich los-
kommen. Le moi est toujours hai'ssable. — Die vornehme Moral, die Herren-
Moral, hat umgekehrt ihre Wurzel in einem triumphirenden Ja-sagen zu sich, —
sie ist Selbstbejahung, Selbstverherrlichung des Lebens, sie braucht gleichfalls
sublime Symbole und Praktiken, aber nur „weil ihr das Herz zu voll" ist. Die
ganze schöne, die ganze grosse Kunst gehört hierher: beider Wesen ist Dank-
barkeit. Andrerseits kann man von ihr nicht einen Instinkt-Widerwillen gegen
die decadents, einen Hohn, ein Grauen selbst vor deren Symbolik abrechnen:
dergleichen ist beinahe ihr Beweis. Der vornehme Römer empfand das Christen-
thum als foeda superstitio: ich erinnere daran, wie der letzte Deutsche vorneh-
men Geschmacks, wie Goethe das Kreuz empfand. Man sucht umsonst nach
werthvolleren, nach nothwendigeren Gegensätzen...] Diesen Passus hat N.
ebenso wie die „Anmerkung" 52, 28-35 erst während des Korrekturdurchgangs
hinzugefügt; das Blatt mit diesem Zusatz (ohne die Anmerkung, aber noch mit
dem Rest des Epilogs) ist das einzige, das vom Druckmanuskript erhalten ist
(und zwar in der Universitätsbibliothek Basel, nach KSA 14, 409).
51, 32 f. Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein Kirchen-
vater!] Vgl. NK 37, 25 f. In EH WA 1, KSA 6, 358, 11-16 berichtet N. davon, wie
er in Leipzig am 300. Geburtstag von Heinrich Schütz Zeuge der Gründung
eines Franz-Liszt-Vereins geworden sei, der sich dem „Zweck der Pflege und
Verbreitung listiger Kirchenmusik" verschrieben habe. N. gilt dies als Beleg
dafür, dass die Deutschen „Allem gleiche Rechte" gäben, „Alles schmackhaft"
fänden (358, 6 f.).
51, 34-52, 1 Das Bedürfniss nach Erlösung, der Inbegriff aller christlichen
Bedürfnisse] Vgl. NK 16, 29 f.
52, 1 hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun] Im Spätwerk benutzte N.
den wenig schmeichelhaften Ausdruck „Hanswurst" gelegentlich, siehe NK
KSA 6, 70, 6 f. In ihrem Brief an N. von Mitte Oktober 1888 nimmt Malwida
von Meysenbug gerade an dieser Stelle besonders Anstoß: „Der Ausdruck:
,Hanswurst' für W<agner> und Liszt ist ganz abscheulich." (KGB III 6, Nr. 591,
S. 330, Z. 9-11).
52, 5 Le moi est toujours hai'ssable.] Es handelt sich um ein Zitat aus Pas-
cals Pensees (Pascal 1814, 1, 197), das N., da er keine französische Pascal-
Ausgabe besaß (in seiner deutschen Ausgabe: Pascal 1865, 1, 190), wohl bei
51, 32-52, 18 Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein
Kirchenvater! — Das Bedürfniss nach Erlösung, der Inbegriff aller christlichen
Bedürfnisse hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun: es ist die ehrlichste
Ausdrucksform der decadence, es ist das überzeugteste, schmerzhafteste Ja-
sagen zu ihr in sublimen Symbolen und Praktiken. Der Christ will von sich los-
kommen. Le moi est toujours hai'ssable. — Die vornehme Moral, die Herren-
Moral, hat umgekehrt ihre Wurzel in einem triumphirenden Ja-sagen zu sich, —
sie ist Selbstbejahung, Selbstverherrlichung des Lebens, sie braucht gleichfalls
sublime Symbole und Praktiken, aber nur „weil ihr das Herz zu voll" ist. Die
ganze schöne, die ganze grosse Kunst gehört hierher: beider Wesen ist Dank-
barkeit. Andrerseits kann man von ihr nicht einen Instinkt-Widerwillen gegen
die decadents, einen Hohn, ein Grauen selbst vor deren Symbolik abrechnen:
dergleichen ist beinahe ihr Beweis. Der vornehme Römer empfand das Christen-
thum als foeda superstitio: ich erinnere daran, wie der letzte Deutsche vorneh-
men Geschmacks, wie Goethe das Kreuz empfand. Man sucht umsonst nach
werthvolleren, nach nothwendigeren Gegensätzen...] Diesen Passus hat N.
ebenso wie die „Anmerkung" 52, 28-35 erst während des Korrekturdurchgangs
hinzugefügt; das Blatt mit diesem Zusatz (ohne die Anmerkung, aber noch mit
dem Rest des Epilogs) ist das einzige, das vom Druckmanuskript erhalten ist
(und zwar in der Universitätsbibliothek Basel, nach KSA 14, 409).
51, 32 f. Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein Kirchen-
vater!] Vgl. NK 37, 25 f. In EH WA 1, KSA 6, 358, 11-16 berichtet N. davon, wie
er in Leipzig am 300. Geburtstag von Heinrich Schütz Zeuge der Gründung
eines Franz-Liszt-Vereins geworden sei, der sich dem „Zweck der Pflege und
Verbreitung listiger Kirchenmusik" verschrieben habe. N. gilt dies als Beleg
dafür, dass die Deutschen „Allem gleiche Rechte" gäben, „Alles schmackhaft"
fänden (358, 6 f.).
51, 34-52, 1 Das Bedürfniss nach Erlösung, der Inbegriff aller christlichen
Bedürfnisse] Vgl. NK 16, 29 f.
52, 1 hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun] Im Spätwerk benutzte N.
den wenig schmeichelhaften Ausdruck „Hanswurst" gelegentlich, siehe NK
KSA 6, 70, 6 f. In ihrem Brief an N. von Mitte Oktober 1888 nimmt Malwida
von Meysenbug gerade an dieser Stelle besonders Anstoß: „Der Ausdruck:
,Hanswurst' für W<agner> und Liszt ist ganz abscheulich." (KGB III 6, Nr. 591,
S. 330, Z. 9-11).
52, 5 Le moi est toujours hai'ssable.] Es handelt sich um ein Zitat aus Pas-
cals Pensees (Pascal 1814, 1, 197), das N., da er keine französische Pascal-
Ausgabe besaß (in seiner deutschen Ausgabe: Pascal 1865, 1, 190), wohl bei