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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0219
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200 Götzen-Dämmerung

ges mehr, das sind Entscheidungen. Ich erst habe den Maassstab für ,Wahrhei-
ten' in der Hand, ich kann erst entscheiden." (EH GD 2, KSA 6, 355, 1-3) Bei
aller in GD selbst gezeigten Schroffheit des Urteils, das keinen Widerspruch zu
dulden scheint, käme der Leser dieses Textes in größte Bedrängnis, müsste er
angeben, wofür sich N. tatsächlich entscheidet, da eine Vielzahl von Entschei-
dungen wieder revidiert, relativiert und kassiert wird. GD erzeugt auf den ers-
ten Blick den Schein klarer Entscheidung und eindeutiger Positionsbezüge —
einen Schein, von dem auch die Rezeptionsgeschichte von Anfang an bestimmt
wurde (vgl. NK ÜK GD 6). Der zweite Blick dürfte viel vorbehaltvoller sein.
Die erste briefliche Bezugnahme auf GD findet sich im Brief vom 7. Septem-
ber 1888 an den Verleger Naumann: „Diese Schrift, deren Umfang nicht
beträchtlich ist, kann vielleicht auch in dem Sinne wirken, die Ohren etwas
für mich aufzumachen: so daß jenes Hauptwerk [sc. Umwerthung aller Werthe]
nicht wieder solchem absurden Stillschweigen begegnet wie mein Zara-
thustra." (KSB 8, Nr. 1103, S. 412, Z. 18-21) In der Sache detaillierter wird N.
im Brief an Carl Fuchs vom 9. September 1888, wo er überdies einen Bezug zur
„Gemsen-Jagd" seines Hauswirts in Sils-Maria herstellt: „Wer von uns Beiden
war mehr auf der Gemsen-Jagd? [...] Der Titel ist liebenswürdig genug
,Müssiggang eines Psychologen' — der Inhalt vom Allerschlimmsten und
Radikalsten, obwohl unter viele finesses und Milderungen versteckt. Es ist eine
vollkommene Gesammt-Einführung in meine Philosophie: — das Nächste, was
dann kommt, ist die ,Umwerthung aller Werthe'" (KSB 8, Nr. 1104,
S. 414, Z. 15-25). Die Eigenart des Werkes wird an anderer Stelle ähnlich wie-
dergegeben: „eine sehr kühn und präcis hingeworfne Zusammenfassung mei-
ner wesentlichsten philosophischen Heterodoxien: so daß die Schrift als
einweihend und appetitmachend für meine Umwerthung der
Werthe ([...]) dienen kann" (an Köselitz, 12. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1105, S. 417,
Z. 33-38, vgl. an Paul Deussen, 14. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1111, S. 426 und an
Overbeck, 14. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1115, S. 434). Oder N. bezeichnet GD als
Werk, das seine „Philosophie in ihrer dreifachen Eigenschaft, als lux, als
nux und als crux, zur Erscheinung bringt" (an Reinhart von Seydlitz, 13. 09.
1888, KSB 8, Nr. 1110, S. 424, Z. 41-43). Den Druck will N. im Brief an Naumann
vom 15. 09. 1888 freilich bis Ostern des kommenden Jahres verschoben wissen
(KSB 8, Nr. 1118, S. 438), ist dann aber, als wider Erwarten die ersten Druckfah-
nen bei ihm eintreffen, gerne bereit, die Publikation gleich in Angriff zu neh-
men (an Naumann, 18. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1121, S. 441). Die Titeländerung,
die Köselitz in seinem Brief vom 20. September 1888 angeregt hatte, führt
schließlich im Brief vom 27. 09. 1888 an Köselitz zur Bekanntgabe des neuen,
nun definitiven Titels (KSB 8, Nr. 1122, S. 443; die Briefe zitiert in NK 55, 1-3).
Ausführlicher bespricht N. GD im Brief an Overbeck vom 18. Oktober 1888 und
 
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