296 Götzen-Dämmerung
„Stelle der ,Erkenntnißtheorie‘" könnte „eine Perspektiven- Lehre der
Affekte" treten (NL 1887, KSA 12, 9[8], 342, 25 f. = KGW IX 6, W II 1, 133, 10-
13).
76, 6-9 Oder Formal-Wissenschaft, Zeichenlehre: wie die Logik und jene
angewandte Logik, die Mathematik. In ihnen kommt die Wirklichkeit gar nicht
vor, nicht einmal als Problem] Die Irrealität der mathematischen Gegenstände
betont bei Brochard 1887, 418 im Gefolge der antiken Skepsis. In 76, 6-9 grenzt
sich N. gegen den integrativen Begriff von Mathematik ab, wie ihn z. B. Nägeli
exponiert, der die Naturwissenschaft zwingend auf die Mathematik angewie-
sen sieht: „Das einzige im Gebiete des Wissens, was wir, gestützt auf unsere
sinnlichen Wahrnehmungen, vollbringen, ist die Mathematik. [...] Wir können
daher auch die realen Dinge sicher erkennen, so weit wir an ihnen mathemati-
sche Begriffe, Zahl und Grösse mit allem, was die Mathematik daraus ableitet,
verwirklicht finden. Das Naturerkennen beruht also in der Anwendung des
mathematischen Verfahrens auf die natürlichen Erscheinungen" (Nägeli 1884,
582). „Die formalen Wissenschaften verhalten sich [...] zu den realen Wissen-
schaften wie das Abstracte zum Concreten, wie das Allgemeine zum Besonde-
ren, und wie das Einfache zum Zusammengesetzten. Wenn der menschliche
Geist die ersteren aus sich entwickeln kann, so muss er aus den aprioristisch
gegebenen Ideen auch die letzteren sammt ihrem Inhalte darstellen können"
(ebd., 637). N. scheint demgegenüber die formalen von den realen Wissen-
schaften abzugrenzen und den Gedanken zurückzuweisen, dass erstere zumin-
dest eine innere „Wirklichkeit", nämlich die Struktur des Bewusstseins (oder
gar angeborene Ideen) darstellen. Wie sich diese Formalwissenschaften dann
konstituieren, bleibt allerdings ein Rätsel. Die in 76, 6-9 vollzogene Trennung
von Mathematik und Naturwissenschaft wird immerhin nicht als prinzipielle
philosophische Unterscheidung exponiert: In AC 59, KSA 6, 247, 31 f. sind beide
Sphären wieder vereint. Zur philosophischen Interpretation von 76, 6-11 siehe
Abel 1998, 329-333.
4
76, 14 f. das Letzte und das Erste zu verwechseln] Vgl. Matthäus 19, 30.
76, 17 f. die allgemeinsten, die leersten Begriffe, den letzten Rauch der verduns-
tenden Realität] In Mp XVI 4 lautete der Passus: „irgend eine jener so überflüs-
sigen hinderlichen Begriffs-Verdünnungen und -Verdunstungen, wie den
Begriff ,gut', den Begriff ,wahr"' (KSA 14, 414).
„Stelle der ,Erkenntnißtheorie‘" könnte „eine Perspektiven- Lehre der
Affekte" treten (NL 1887, KSA 12, 9[8], 342, 25 f. = KGW IX 6, W II 1, 133, 10-
13).
76, 6-9 Oder Formal-Wissenschaft, Zeichenlehre: wie die Logik und jene
angewandte Logik, die Mathematik. In ihnen kommt die Wirklichkeit gar nicht
vor, nicht einmal als Problem] Die Irrealität der mathematischen Gegenstände
betont bei Brochard 1887, 418 im Gefolge der antiken Skepsis. In 76, 6-9 grenzt
sich N. gegen den integrativen Begriff von Mathematik ab, wie ihn z. B. Nägeli
exponiert, der die Naturwissenschaft zwingend auf die Mathematik angewie-
sen sieht: „Das einzige im Gebiete des Wissens, was wir, gestützt auf unsere
sinnlichen Wahrnehmungen, vollbringen, ist die Mathematik. [...] Wir können
daher auch die realen Dinge sicher erkennen, so weit wir an ihnen mathemati-
sche Begriffe, Zahl und Grösse mit allem, was die Mathematik daraus ableitet,
verwirklicht finden. Das Naturerkennen beruht also in der Anwendung des
mathematischen Verfahrens auf die natürlichen Erscheinungen" (Nägeli 1884,
582). „Die formalen Wissenschaften verhalten sich [...] zu den realen Wissen-
schaften wie das Abstracte zum Concreten, wie das Allgemeine zum Besonde-
ren, und wie das Einfache zum Zusammengesetzten. Wenn der menschliche
Geist die ersteren aus sich entwickeln kann, so muss er aus den aprioristisch
gegebenen Ideen auch die letzteren sammt ihrem Inhalte darstellen können"
(ebd., 637). N. scheint demgegenüber die formalen von den realen Wissen-
schaften abzugrenzen und den Gedanken zurückzuweisen, dass erstere zumin-
dest eine innere „Wirklichkeit", nämlich die Struktur des Bewusstseins (oder
gar angeborene Ideen) darstellen. Wie sich diese Formalwissenschaften dann
konstituieren, bleibt allerdings ein Rätsel. Die in 76, 6-9 vollzogene Trennung
von Mathematik und Naturwissenschaft wird immerhin nicht als prinzipielle
philosophische Unterscheidung exponiert: In AC 59, KSA 6, 247, 31 f. sind beide
Sphären wieder vereint. Zur philosophischen Interpretation von 76, 6-11 siehe
Abel 1998, 329-333.
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76, 14 f. das Letzte und das Erste zu verwechseln] Vgl. Matthäus 19, 30.
76, 17 f. die allgemeinsten, die leersten Begriffe, den letzten Rauch der verduns-
tenden Realität] In Mp XVI 4 lautete der Passus: „irgend eine jener so überflüs-
sigen hinderlichen Begriffs-Verdünnungen und -Verdunstungen, wie den
Begriff ,gut', den Begriff ,wahr"' (KSA 14, 414).