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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0330
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Stellenkommentar GD Fabel, KSA 6, S. 81 311

6, KSA 6, 78, 23-26 zu klären: Bei der scheinbaren Welt handle es sich um
eine „moralisch-optische Täuschung", um ein Restprodukt bei der Pro-
duktion einer wahren, jenseitigen Welt. Eine scheinbare Welt gibt es N.s Kritik
zufolge aber ebensowenig wie eine wahre, sondern nur die eine, wirkliche
Welt. Immerhin war die Scheinbarkeit schon immer ein Argument gegen die
Wertschätzung der sinnlich wahrnehmbaren Welt, vgl. z. B. Brochard 1887, 6:
„l'eleatisme commengait par declarer que le monde, tel que nous le voyons,
n'est qu'une apparence" („der Eleatismus setzte bei der Behauptung ein, dass
die Welt, wie wir sie sehen, bloß eine Erscheinung sei").
Das ganze Thema bearbeitet wissenschaftstheoretisch perspektiviert die
Aufzeichnung NL 1888, KSA 13, 14[103], 280, 4-24 (korrigiert nach KGW IX 8,
W II 5, 114, 2-32): „Ich sehe mit Erstaunen, daß die Wissenschaft sich heute
resignirt, auf die scheinbare Welt angewiesen zu sein: eine wahre Welt — sie
mag sein, wie sie will, gewiß haben wir kein Organ der Erkenntniß für sie. /
Hier dürfte man nun schon fragen: mit welchem Organ der Erkenntniß setzt
man auch diesen Gegensatz nur an?... / Damit daß eine Welt, die unseren
Organen zugänglich ist, auch als abhängig von diesen Organen verstanden
wird, damit daß wir eine Welt als subjektiv bedingt (verstehen), damit ist
nicht ausgedrückt, daß sie an sich existiert daß eine objektive Welt über-
haupt möglich (ist). Wer wehrt uns zu denken, daß die Subjektivität real,
essentiell ist? / das ,An sich' ist sogar eine widersinnige Conception: eine
,Beschaffenheit an sich' ist Unsinn: wir haben den Begriff ,Sein', ,Ding' immer
nur als Relationsbegriff... / Das Schlimme ist — daß mit dem alten Gegensatz
,scheinbar' und ,wahr' sich das correlative Werthurtheil fortgepflanzt (hat):
geringer an Werth und absolut ,werthvoll' / die scheinbare Welt gilt uns nicht
als eine ,werthvolle' Welt; der Schein soll eine Instanz gegen die oberste Werth-
heit sein. Werthvoll an sich kann nur eine ,wahre' Welt sein..." Vgl. auch NL
1888, KSA 13, 14[168], 350-355 (KGW IX 8, W II 5, 36-39).
Während man argumentieren könnte, aus der Abschaffung der „wahren
Welt" folge notwendig auch die Abschaffung der scheinbaren, besteht die
Pointe des 6. Absatzes darin, dass mit der expliziten Abschaffung auch der
scheinbaren Welt die mögliche nihilistische Konsequenz des 5. Absatzes über-
wunden wird, nämlich die Konsequenz, bei Abschaffung der „wahren Welt"
an der Scheinbarkeit des Übriggebliebenen festzuhalten und damit alles, was
ist, für wertlos zu erklären, weil es eben bloß scheinbar ist.
Im Hintergrund der Überlegungen von NL 1888, KSA 13, 14[103], 280 (KGW
IX 8, W II 5, 114, 2-32, 4-24) steht die Lektüre von Harald Höffdings Psychologie
in Umrissen: „Wenn es sich als unmöglich erweist, die populäre Definition der
Wahrheit als Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Wirklichkeit anzuwen-
den, da die Wirklichkeit selbst durch unsre Erkenntnis für uns entsteht, so
 
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