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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0356
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Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 90-91 337

werde, daraus abgeleitet werden könne, dass sie auch eine äußere Tatsache
sei.
N. variiert das Thema der inneren Tatsachen in abgewandelter Begrifflich-
keit in NL 1888, KSA 13, 15[85], 457, 12-16: „Die ,innere Welt' und ihr
berühmter ,innerer Sinn'. / Der innere Sinn verwechselt die Folge mit
der Ursache / die ,Ursache' wird projicirt, nachdem die Wirkung erfolgt ist:
Grundthatsache der ,inneren Erfahrung'." Diese Notiz klingt an einen Passus
an, den N. in Gustav Bunges Vortrag Vitalismus und Mechanismus gelesen hat:
„Aber wir besitzen ja zur Beobachtung der belebten Natur einen Sinn mehr:
es ist der innere Sinn zur Beobachtung der Zustände und Vorgänge des eigenen
Bewusstseins. Dass auch diese im Grunde nur Bewegungsvorgänge seien, ist
eine Lehre, die ich bestreiten muss. Es spricht dagegen schon die einfache
Thatsache, dass die Zustände und Vorgänge in unserem Bewusstsein gar nicht
alle räumlich geordnet sind." (Bunge 1886, 4. Den letzten Satz quittiert N. am
Rande mit „gut"). N. hatte Bunges Broschüre im März 1886 von Overbeck zuge-
sandt bekommen, vgl. Overbecks Briefe vom 08. 03. 1886, KGB III 4, Nr. 355,
S. 143 u. vom 29. 03. 1886, KGB III 4, Nr. 360, S. 149.
91, 1-4 Die „innere Welt" ist voller Trugbilder und Irrlichter: der Wille ist eins
von ihnen. Der Wille bewegt nichts mehr, erklärt folglich auch nichts mehr - er
begleitet bloss Vorgänge, er kann auch fehlen.] Dass „,Wille' [...] natürlich nur
auf ,Wille' wirken" könne, ist eine Einsicht, die N. in JGB 36 (KSA 5, 55, 17 f.)
zur „Hypothese" veranlasst, „ob nicht überall, wo ,Wirkungen' anerkannt wer-
den, Wille auf Wille wirkt — und ob nicht alles mechanische Geschehen, inso-
fern eine Kraft darin thätig wird, eben Willenskraft, Willens-Wirkung ist" (KSA
5, 55, 19-23). Dies führt ihn dort zur Vermutung, „alle wirkende Kraft eindeu-
tig zu bestimmen als: Wille zur Macht" (KSA 5, 55, 30 f.). In GD (91, 1-4)
erprobt N. unter dem Titel des „Irrthums einer falschen Ursächlichkeit" die
genau entgegengesetzte Hypothese, derzufolge der Wille gar nichts mehr
bewirkt, sondern bloß noch ein Oberflächenphänomen darstellt — der in JGB
36 hypothetisch gesetzte Glaube „an die Causalität des Willens" (KSA 5, 55,
14) also ganz preisgegeben wird. Nichts wäre daher verkehrter, als N. zum
dogmatischen Lehrer des Willens zur Macht als letzter Weltsubstanz zu stilisie-
ren.
Ausführlicher zur „inneren Welt" und die „chronologische
Umdrehung" (KSA 13, 458, 21 f.) ist NL 1888, KSA 13, 15[90], 458-460, wo
Überlegungen von GD Die vier grossen Irrthümer 4 vorweggenommen werden.
Wenn N. in 91, 1-4 deutlich macht, dass die Innenwelt keineswegs klar, eindeu-
tig und welterschließend ist, dann wendet er sich implizit gegen idealistisch-
vitalistische Autoren wie Gustav (von) Bunge, bei dem er gelesen hatte: „Das
Wesen des Vitalismus besteht nicht darin, dass wir uns mit einem Worte
 
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