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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0364
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Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 92 345

la gravite du mal, avec autant de sürete que le diagnostic du meilleur mede-
cin. /474/ Qui sait si l'activite de certains hommes ne tient pas ä la bonne sante
de leurs visceres? Qui sait si l'apathie de tels autres n'est pas produite par des
visceres souffrants et endoloris?" (Richet 1884, 473 f.; mehrere Randstriche N.s,
von ihm Unterstriches hier kursiviert, sensorium commune im Original kursiv.
Unten auf S. 473 von N.s Hand: „Pessimisme". — „Wir spüren nicht, wie sich
das Herz im Herzbeutel bewegt, wie sich die Lungen im Brustfell ausdehnen,
wie das Gehirn, angeregt durch Oszillation, die Gehirnflüssigkeit bewegt, wie
die Leber Galle ausscheidet, wie Magen und Darm von unaufhörlicher Peristal-
tik bewegt wird. Nein, gewiss, alle diese Abläufe entgehen uns und diese Bewe-
gungen laufen ohne unser Wissen ab. Aber auch wenn wir davon kein genaues
Empfinden haben, gelangen diese speziell gearteten Vorgänge in ein allgemei-
nes Sensorium und wirken auf dieses ein. / Unser psychischer Zustand hängt
von diesen unbewussten Vorgängen ab. Ein Individuum, das eine schlechte
Verdauung hat, wird, ohne dass es Schmerzen in der Magenregion empfindet,
apathisch und verdrossen sein. Ein Individuum mit einer Herzkrankheit ist
einem ständigen Furchtempfinden ausgeliefert. / Wer bei guter Gesundheit ist,
fühlt sich leben; er fühlt sich sogar gut leben. Eine Vielzahl unerklärlicher und
ungenauer Empfindungen erreichen sein Bewusstsein und benachrichtigen
ihn, dass alles in gutem Zustand sei. Aus diesem Vorgang breitet sich ein
Gefühl unbewusster Befriedigung aus. / Im Gegensatz dazu fühlt ein krankes
Individuum undeutlich, ohne die Natur und den Sitz seiner Krankheit zu ken-
nen, dass in seinem Körper etwas nicht stimmt und dann löst ein Gefühl der
Angst und der Ruhelosigkeit das Wohlgefühl, das er gerade noch hatte, ab. /
Es ist der große Sympathikus, der durch seine unzähligen Verästelungen den
Eingeweiden ihre Sensibilität und dem lebendigen Wesen sein Bewusstsein
gibt. Wenn er erregt oder geschwächt ist entweder durch eine Entzündung oder
durch ein Trauma, sendet er dem kranken Wesen das Bewusstsein einer tief
greifenden, organischen Störung. I Die Menschen mit einem intakten großen
Sympathikus sind fröhlich und munter. Jene, deren großer Sympathikus leidet,
sind schwermütig, traurig und mutlos. Man kann mit einem bestimmten Kraft-
aufwand trotz einer Neuralgie im Rückenmark guter Laune sein. Doch mit einer
Neuralgie im großen Sympathikus wäre dies nicht möglich. / Wenn die Hand,
die Zunge oder der Hals erkrankt, kann man den Schmerz beschreiben und
lokalisieren; hingegen bei einer Krankheit der Eingeweide ist der Schmerz
meistens diffus, vor allem wenn die Krankheit nicht sehr ausgeprägt ist. Doch
genau dieses unbestimmte Leiden gibt dem Patienten eine vage Empfindung
von Schmerz, ein umfassendes Unwohlsein, das oftmals die Schwere des Lei-
dens mit derselben Sicherheit zum Vorschein bringt wie die Diagnose des bes-
ten Arztes. /474/ Wer weiß, ob nicht die Aktivität mancher Menschen an der
 
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