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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0423
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404 Götzen-Dämmerung

passen scheint (vgl. z. B. Braatz 1988, 57), findet sich bei ihm nur in 112, 2; er
hat ihn im Blick auf Renan vielleicht aus dem Französischen adaptiert, näm-
lich aus Arsene Emile Berard-Varagnacs Essay über Renan in seinen Portraits
litteraires: „II [sc. Renan] est bien trop aristocrate d'esprit et de penchants pour
applaudir au present sans reserves, pour ne pas dedaigner un peu la democra-
tie utilitaire, et les interets de la vie reelle, et meme l'oeuvre de 1789." (Berard-
Varagnac 1887, 274. „Er [sc. Renan] ist viel zu sehr Aristokrat des Geistes und
der Neigungen, um der Gegenwart ohne Vorbehalte Beifall zu spenden, um
nicht die nutzenorientierte Demokratie, die Interessen des wirklichen Lebens
und sogar die Errungenschaft von 1789 ein wenig zu verachten.").
Ludwig Börne benutzt „Aristokratismus des Geistes" als Überschrift einer
seiner Schilderungen aus Paris (1822-1824), die dem französischen Geistesleben
ein vernichtendes Zeugnis ausstellt (Börne 1964, 120-124), während Friedrich
Theodor Vischer in seiner von N. gelegentlich konsultierten (Crescenzi 1994,
400; Venturelli 2003, 180-198) Aesthetik davon spricht, Hegels „Formen des
absoluten Geistes" erschienen „als ein quietistischer Aristokratismus des Geis-
tes" (Vischer 1846, 13). Gelesen hat N. auch das 1885 anonym publizierte, für
die Züchtung einer neuen adligen Menschheit eintretende Buch Die Aristokratie
des Geistes als Lösung der sozialen Frage von Erdmann Gottreich Christaller
(vgl. NPB 170 f. [dort fälschlich Johann Gottlieb Christaller zugeschrieben] und
Brobjer 1997b, 691; zu N.s möglichem Einfluss auf Christaller vgl. Kr I, 104 f.;
auch bei Bleibtreu 1886a = 1886b, 88 wird aus Christallers Aristokratie des
Geistes zitiert).
Obwohl N. das Abstraktum „Aristokratismus des Geistes" sonst vermeidet,
spricht er doch schon früher von den „Aristokraten des Geistes" (MA I 210,
KSA 2, 172, 10 f.; vgl. NL 1881, KSA 9, 15[17], 642, 24). „Aristokraten des Geistes"
sei, heißt es in NL 1885, KSA 11, 35[76], 543, 24 f. (korrigiert nach KGW IX 4, W
I 3, 64, 30), ein „Leibwort für Juden" (ähnlich NL 1885, KSA 11, 41[3], 678, 11-
14 = KGW IX 4, W I 5, 42, 46-50) — ob da Börne nachklingt? Auch der von N.
eifrig studierte Paul de Lagarde benutzt in seiner Schrift über Die Religion der
Zukunft von 1878 schon die Wendung „Aristokratie des Geistes" (Lagarde 1920,
245). Zum Begriff und zur Hochschätzung von Aristokratie bei N. im Allgemei-
nen vgl. NWB 1, 120-129 und NH 192-194 (Giuliano Campioni), zum „Aristokra-
tismus der Gesinnung" NK KSA 6, 218, 15 f.
112, 4 evangile des humbles] Französisch: „Evangelium der Geringen". Vgl. EH
WA 1, KSA 6, 358, 3; GD Die „Verbesserer" der Menschheit 4, KSA 6, 102, 2 u.
AC 43, KSA 6, 218, 22 f.; deutsch als „Evangelium der Niedrigen" in WA Epilog,
KSA 6, 51, 24. In Renans Schriften ist diese Wendung direkt nicht nachweisbar.
Jedoch heißt es z. B. bei Renan 1867, 342 (= Renan 1863, 329): „Jesus recherchait
les humbles et les rebutes de toute sorte; les pharisiens voyaient en cela une
 
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