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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0424
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 112 405

insulte ä, leur religion d'hommes comme il faut." („Jesus suchte die Geringen
und die Entmutigten; die Pharisäer sahen darin eine Beleidigung ihrer eigenen
Religion der ordentlichen Menschen.") Jesus widmet nach Renans Vie de Jesus
sein ganzes Leben dem Engagement für die Niedrigsten: „Les fondateurs du
royaume de Dieu seront les simples. Pas de riches, pas de docteurs, pas de
pretres; des femmes, des hommes du peuple, des humbles, des petits. Le grand
signe du Messie, c'est ,1a bonne nouvelle annoncee aux pauvres.' La nature
idyllique et /129/ douce de Jesus reprenait ici le dessus. Une immense revolu-
tion sociale, oü les rangs seront intervertis, oü tout ce qui est officiel en ce
monde sera humilie, voilä son reve. Le monde ne le croira pas; le monde le
tuera. Mais ses disciples ne seront pas du monde. Ils seront un petit troupeau
d'humbles et de simples, qui vaincra par son humilite meme. Le sentiment qui
a fait de ,mondain‘ l'antithese de ,chretien' a, dans les pensees du maitre, sa
pleine justification." (Renan 1863, 128 f. „Die Begründer des Reiches Gottes
werden die einfachen Leute sein. Nicht Reiche, nicht Gelehrte, nicht Priester;
Frauen, Männer aus dem Volk, die Geringen, die Kleinen. Das große Zeichen
des Messias ist ,die gute Botschaft für die Armen'. Die idyllische und /129/
sanfte Natur Jesu gewann hier wieder oberhand. Eine immense soziale Revolu-
tion, wo die Rangabfolge verkehrt werden wird, wo alles, was in dieser Welt
Amt und Würden hat, erniedrigt werden wird, war sein Traum. Die Welt wird
ihm nicht glauben; die Welt wird ihn töten. Aber seine Jünger werden nicht
von dieser Welt sein. Sie werden eine kleine Herde von Geringen und Einfachen
sein, die durch ihre Niedrigkeit selbst siegen wird. Das Gefühl, das aus ,welt-
lich' die Antithese zu ,christlich' gemacht hat, findet im Denken des Meisters
seine völlige Rechtfertigung.") Diese Präferenz für die humbles schlägt nach
Renan auch auf manche Texte des Neuen Testaments durch: „Le caractere
dominant des Actes, comme celui du troisieme Evangile, est une piete tendre,
une vive sympathie pour les gentils, un esprit conciliant, une preoccupation
extreme du surnaturel, l'amour des petits et des humbles, un grand sentiment
democratique ou plutöt la persuasion que le peuple est naturellement chretien,
que ce sont les grands qui l'empechent de suivre ses bons instincts" (Renan
1866, XXV. „Der dominierende Zug der Apostelgeschichte, wie jener des dritten
Evangeliums [sc. Lukas], ist eine zärtliche Frömmigkeit, eine lebhafte Sympa-
thie für die Braven, ein versöhnlicher Geist, eine extreme Beschäftigung mit
dem Übernatürlichen, eine Liebe für die Kleinen und die Geringen, ein ausge-
prägt demokratischer Sinn, oder genauer die Überzeugung, dass das Volk von
Natur aus christlich sei, dass es die Großen seien, die es vom Befolgen seiner
guten Instinkte abhalten würden").
Im christlichen Kontext ist der Sprachgebrauch durchaus geläufig, das
Evangelium sei von den „humbles", den Geringsten aufgenommen worden,
auch wenn „l'Evangile des humbles" etwa in einem Artikel des reformierten
 
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