418 Götzen-Dämmerung
elle s'en est tenue, dans ses romans, ä la vieille morale, aux vieilles vertus et
aux vieilles bienseances. C'etait plus simple, plus court, et qui sait? c'etait
peut-etre plus sür. Ce qui unit ou separe les esprits, disait-elle, est beaucoup
moins ce qu'ils pensent que la maniere dont ils le pensent. Ily a qu'une verite:
la verite du sentiment." (Barine 1885, 118 bzw. Barine 1887, 129-131. „Ihre [sc.
Eliots] vielseitigen Lektüren und ihre ausgedehnten Studien hatten nicht bloß
das Ziel, sie zu bilden und ihr Vergnügen zu bereiten. Sie suchte darin die
Lösung für ein Problem, das sie verfolgte, seit sie aufgehört hatte, Christin zu
sein. Wenn jemand mit der Religion bricht, die sich seit mehreren Jahrhunder-
ten in der Seele seines Volkes und seiner Nation ausgebreitet hat, merkt er
schnell, dass seine Versuche, die Vergangenheit abzuschütteln, vergeblich und
leichtfertig sind. Es ist möglich Dogmen und Doktrinen abzulehnen; es ist
jedoch unmöglich, die Gesamtheit der Ideen, Bräuche, Gesetze, sozialen Insti-
tutionen und Vorurteile zu entfernen, die aus diesen Dogmen und Lehren in
der Zivilisation, zu der man gehört, hervorgegangen sind. Die meisten Men-
schen werden dieser Tatsache nicht gewahr und glauben, sie seien in dem
Augenblick befreit, in dem sie gewissen Glaubenssätzen abgeschworen und
aufgehört haben gewisse Praktiken zu befolgen. George Eliot hat diese Unstim-
migkeit gespürt und hat sie nicht ertragen können. Sie war einer der Men-
schen, die eine Einheit benötigten, und sie entschloss sich, eine solche wieder-
herzustellen, soweit es von ihr abhing; in ihrem Denken und in ihrem Leben
schuf sie einen neuen Katalog von Pflicht und Moral, unabhängig von den
Sanktionen und Versprechen der Religion. Sie arbeite lange und mit großer
Energie daran, eine neue Verhaltensregel zu finden, welche die alten Glaubens-
sätze ersetzen könnte, doch sie konnte keine finden, und aus diesem Grund
hat sie sich in ihren Romanen an die alte Moral, die alten Tugenden und den
alten Anstand gehalten. Es war das Einfachste, das Kürzeste und, wer weiß,
vielleicht auch das Sicherste. Das was die Geister vereint oder scheidet, sagte
sie, ist viel weniger, was sie denken, sondern die Art und Weise, wie sie den-
ken. Es gibt nur eine Wahrheit: die Wahrheit der Gefühle.").
114, 8-12 Die christliche Moral ist ein Befehl; ihr Ursprung ist transscendent;
sie ist jenseits aller Kritik, alles Rechts auf Kritik; sie hat nur Wahrheit, falls Gott
die Wahrheit ist, — sie steht und fällt mit dem Glauben an Gott.] Entsprechend
wäre mit der Widerlegung des Christentums als Lehre, wie N. sie im Antichrist
vollzieht, auch die christliche Moral erledigt, so dass N.s späte Auffassung (vgl.
NK ÜK AC), mit diesem Werk die ganze Umwertung aller Werte vollzogen zu
haben, hier eine theoretische Basis bekommt: Man braucht dann keine weite-
ren Umwertungsbücher z. B. unter dem Titel „Der Immoralist".
114, 12-20 Wenn thatsächlich die Engländer glauben, sie wüssten von sich aus,
„intuitiv", was gut und böse ist, wenn sie folglich vermeinen, das Christenthum
elle s'en est tenue, dans ses romans, ä la vieille morale, aux vieilles vertus et
aux vieilles bienseances. C'etait plus simple, plus court, et qui sait? c'etait
peut-etre plus sür. Ce qui unit ou separe les esprits, disait-elle, est beaucoup
moins ce qu'ils pensent que la maniere dont ils le pensent. Ily a qu'une verite:
la verite du sentiment." (Barine 1885, 118 bzw. Barine 1887, 129-131. „Ihre [sc.
Eliots] vielseitigen Lektüren und ihre ausgedehnten Studien hatten nicht bloß
das Ziel, sie zu bilden und ihr Vergnügen zu bereiten. Sie suchte darin die
Lösung für ein Problem, das sie verfolgte, seit sie aufgehört hatte, Christin zu
sein. Wenn jemand mit der Religion bricht, die sich seit mehreren Jahrhunder-
ten in der Seele seines Volkes und seiner Nation ausgebreitet hat, merkt er
schnell, dass seine Versuche, die Vergangenheit abzuschütteln, vergeblich und
leichtfertig sind. Es ist möglich Dogmen und Doktrinen abzulehnen; es ist
jedoch unmöglich, die Gesamtheit der Ideen, Bräuche, Gesetze, sozialen Insti-
tutionen und Vorurteile zu entfernen, die aus diesen Dogmen und Lehren in
der Zivilisation, zu der man gehört, hervorgegangen sind. Die meisten Men-
schen werden dieser Tatsache nicht gewahr und glauben, sie seien in dem
Augenblick befreit, in dem sie gewissen Glaubenssätzen abgeschworen und
aufgehört haben gewisse Praktiken zu befolgen. George Eliot hat diese Unstim-
migkeit gespürt und hat sie nicht ertragen können. Sie war einer der Men-
schen, die eine Einheit benötigten, und sie entschloss sich, eine solche wieder-
herzustellen, soweit es von ihr abhing; in ihrem Denken und in ihrem Leben
schuf sie einen neuen Katalog von Pflicht und Moral, unabhängig von den
Sanktionen und Versprechen der Religion. Sie arbeite lange und mit großer
Energie daran, eine neue Verhaltensregel zu finden, welche die alten Glaubens-
sätze ersetzen könnte, doch sie konnte keine finden, und aus diesem Grund
hat sie sich in ihren Romanen an die alte Moral, die alten Tugenden und den
alten Anstand gehalten. Es war das Einfachste, das Kürzeste und, wer weiß,
vielleicht auch das Sicherste. Das was die Geister vereint oder scheidet, sagte
sie, ist viel weniger, was sie denken, sondern die Art und Weise, wie sie den-
ken. Es gibt nur eine Wahrheit: die Wahrheit der Gefühle.").
114, 8-12 Die christliche Moral ist ein Befehl; ihr Ursprung ist transscendent;
sie ist jenseits aller Kritik, alles Rechts auf Kritik; sie hat nur Wahrheit, falls Gott
die Wahrheit ist, — sie steht und fällt mit dem Glauben an Gott.] Entsprechend
wäre mit der Widerlegung des Christentums als Lehre, wie N. sie im Antichrist
vollzieht, auch die christliche Moral erledigt, so dass N.s späte Auffassung (vgl.
NK ÜK AC), mit diesem Werk die ganze Umwertung aller Werte vollzogen zu
haben, hier eine theoretische Basis bekommt: Man braucht dann keine weite-
ren Umwertungsbücher z. B. unter dem Titel „Der Immoralist".
114, 12-20 Wenn thatsächlich die Engländer glauben, sie wüssten von sich aus,
„intuitiv", was gut und böse ist, wenn sie folglich vermeinen, das Christenthum