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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0460
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 118-119 441

dung der Schwere, der Trägheit der Materie für ein Hauptcharakteristikum der
Architektur, deutet diese Überwindung aber ganz im Unterschied zu Schopen-
hauer als Ausdruck der Willenssteigerung und nicht etwa als ein Willensquietiv
oder als eine Ideenveranschaulichung. Vgl. Schopenhauer, Die Welt als Wille
und Vorstellung I 3, § 43: „Wenn wir nun die Baukunst, bloß als schöne
Kunst, abgesehn von ihrer Bestimmung zu nützlichen Zwecken, in welchen sie
dem Willen, nicht der reinen Erkenntniß dient und also nicht mehr Kunst in
unserm Sinne ist, betrachten; so können wir ihr keine andere Absicht unterle-
gen, als die, einige von jenen Ideen, welche die niedrigsten Stufen der Objekti-
tät des Willens sind, zu deutlicher Anschaulichkeit zu bringen: nämlich
Schwere, Kohäsion, Starrheit, Härte, diese allgemeinen Eigenschaften des Stei-
nes, diese ersten, einfachsten, dumpfesten Sichtbarkeiten des Willens, Grund-
baßtöne der Natur; und dann neben ihnen das Licht, welches in vielen Stücken
ein Gegensatz jener ist. Selbst auf dieser tiefen Stufe der Objektität des Willens
sehn wir schon sein Wesen sich in Zwietracht offenbaren: denn eigentlich ist
der Kampf zwischen Schwere und Starrheit der alleinige ästhetische Stoff der
schönen Architektur: ihn auf mannigfaltige Weise vollkommen deutlich hervor-
treten zu lassen, ist ihre Aufgabe. Sie löst solche, indem sie jenen unvertilgba-
ren Kräften den kürzesten Weg zu ihrer Befriedigung benimmt und sie durch
einen Umweg /253/ hinhält, wodurch der Kampf verlängert und das uner-
schöpfliche Streben beider Kräfte auf mannigfaltige Weise sichtbar wird."
(Schopenhauer 1873-1874, 2, 252 f.; vgl. auch ebd., 3, 468-477). Die herausra-
gende Rolle, die N. der Architektur im Gefüge der Künste einräumt, erinnert
an Vorbilder aus der Renaissance sowie insbesondere an Vitruv: De architec-
tura libri decem I 1, 1-18.
118, 31 Wille zur Macht] Dieses berühmte (und berüchtigte) Stichwort aus N.s
Spätphilosophie erscheint in GD noch an drei weiteren Stellen, nämlich GD
Streifzüge eines Unzeitgemässen 20, KSA 6, 124, 14 f.; ebd., 38, KSA 6, 139, 13
sowie GD Was ich den Alten verdanke 3, KSA 6, 157, 7. In JGB 259, KSA 5, 208,
4 f. setzt N. „Wille zur Macht" mit „Leben" gleich und treibt in GM II 12, KSA
5, 313-316 im Rahmen strafgenealogischer Überlegungen die Idee des Macht-
Willens zu einer allgemeinen Wirklichkeitstheorie weiter. In GD treten diese
Überlegungen trotz der gelegentlichen Nennung einschlägiger Stichworte in
den Hintergrund.
119, 1-8 Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum
Ausdruck, was grossen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr nöthig
hat; die es verschmäht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keinen Zeugen um
sich fühlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie giebt;
die in sich ruht, fatalistisch, ein Gesetz unter Gesetzen: Das redet als grosser
 
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