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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0595
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576 Götzen-Dämmerung

158, 16-23 Lobeck hat mit allem Aufwande von Gelehrsamkeit zu verstehn
gegeben, eigentlich habe es mit allen diesen Curiositäten Nichts auf sich. In
der That möchten die Priester den Theilhabern an solchen Orgien einiges nicht
Werthlose mitgetheilt haben, zum Beispiel, dass der Wein zur Lust anrege, dass
der Mensch unter Umständen von Früchten lebe, dass die Pflanzen im Frühjahr
aufblühn, im Herbst verwelken.] N. hat diese Informationen nicht direkt aus
August Lobecks Aglaophamus (Königsberg 1829, Bd. 1, 180 f.) geschöpft — ein
Werk, das er während seiner Professorenzeit in Basel noch konsultiert hatte
(Crescenzi 1994, 392) —, sondern findet sie im gelehrten Nachwort Franz Anton
von Besnards zu dessen deutscher Ausgabe von Adversus gentes des altkirchli-
chen Heidentumsbekämpfers Arnobius des Älteren — ein Band, den N. schon
lange im Besitz hatte (NPB 126 f.) und sich 1884 von seiner Schwester hatte
nach Zürich bringen lassen (Nachweise bei Ebanoidse 1998, 552-556 u. Sommer
2000a, 615). Dabei macht sich N. Besnards kritischen Blick auf Lobeck und
Besnards abkürzende Übersetzung des lateinischen Textes bereitwillig zu
eigen. Bei Besnard heißt es, mit einer Anstreichung N.s am Rande: „Fährt dem-
nach Lobeck fort, aus jener Erklärungssucht zu schließen, daß das, wovon
man erzählt, es sei in den Mysterien überliefert, in Wahrheit das nicht war,
sondern von den Zuhörern hineingedacht; daß die Priester wohl Einiges auf
Befragen mitgetheilt hätten, dies aber nur darauf hinauslaufe, daß der Wein
die Lust anrege, der Mensch von Früchten lebe, die Pflanzen im Frühling aufblü-
hen, im Winter welken (I, 180 flg.): so spricht er damit auf einmal ein Glaubens-
bekenntniß aus, das völlig eben so unkritisch erscheint als die Träume von
geheimer Weisheit" (Arnobius 1842, 557. Kursiviertes von N. unterstrichen).
Im Hintergrund von N.s Lobeck-Kritik steht dessen Opposition gegen die
mystisch-neuplatonisierende, eben ,dionysische' Tendenz von Georg Friedrich
Creuzers Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, die
N.s Frühwerk stark beeinflusst hat (vgl. NK ÜK GT). N. als ,dionysischer' Creu-
zer-Adept setzt den alten Gelehrtenstreit fort.
158, 23-159, 2 Was jenen so befremdlichen Reichthum an Riten, Symbolen und
Mythen orgiastischen Ursprungs angeht, von dem die antike Welt ganz wörtlich
überwuchert ist, so findet Lobeck an ihm einen Anlass, noch um einen Grad
geistreicher zu werden. „Die Griechen, sagt er Aglaophamus I, 672, hatten sie
nichts Anderes zu thun, so lachten, sprangen, rasten sie umher, oder, da der
Mensch mitunter auch dazu Lust hat, so sassen sie nieder, weinten und jammer-
ten. Andere kamen dann später hinzu und suchten doch irgend einen Grund
für das auffallende Wesen; und so entstanden zur Erklärung jener Gebräuche
jene zahllosen Festsagen und Mythen. Auf der andren Seite glaubte man, jenes
possirliche Treiben, welches nun einmal an den Festtagen stattfand,
gehöre auch nothwendig zur Festfeier, und hielt es als einen unentbehrlichen
 
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