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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0038
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Überblickskommentar 15

gengelassen zu haben, die damit verloren seien (zum Kontext siehe Emmelius
2012). Dabei wusste sie aus dem ihr bekannten, aber von ihr nie veröffentlich-
ten Brief N.s an Deussen vom 26. 11. 1888 ebenso wie Köselitz sehr wohl, dass
N. diese Bücher nie geschrieben und schließlich AC für die ganze „Umwer-
thung" angesehen hat (vgl. KSA 14, 463).
Freilich waren zu Beginn der AC-Rezeptionsgeschichte die Schock- und
Abwehrreaktionen zahlreich, und zwar keineswegs nur unter Theologen.
Arthur Drews beispielsweise, der immerhin ein bekannter Leugner der Histori-
zität Jesu war, meinte AC sei „keine Kritik mehr, sondern ein wüstes
Geschimpfe, wobei sich Nietzsche in eine Wut hineinredet, wie ein Tobsüchti-
ger, der die Herrschaft über sich selbst verloren hat. Das ganze Werk von der
ersten bis zur letzten Zeile ist fast wie in einem einzigen atemlosen Sturme des
Affekts geschrieben." (Drews 1904, 484) In dieser AC-Rezeptionslinie dominiert
das Motiv der Psychopathologisierung von N.s Spätwerk. Die These ist, in die-
sen Schriften sei N.s Wahnsinn bereits sichtbar und insbesondere AC als philo-
sophischer Text nicht mehr ernstzunehmen. So schreibt Eugen Fink über AC:
„Die Maßlosigkeit bringt sich selbst weithin um die beabsichtigte Wirkung;
man überzeugt nicht, wenn man Schaum vor dem Mund hat" (Fink 1992, 134).
Eine entgegengesetzte AC-Rezeptionslinie hält hingegen zu Pathologisie-
rungstendenzen Abstand und sucht nach dem philosophischen Gehalt von N.s
letzten Werken. Diese Rezeptionslinie ist durch Montinaris Nachweis, dass N.
den Plan eines ,Prosa-Hauptwerkes' unter dem Titel „Der Wille zur Macht"
schließlich aufgegeben hat (Montinari 1996), gestärkt worden (Stegmaier 1992,
Sommer 2000a). Freilich hat sich gerade AC auch für politische Instrumentali-
sierungen angeboten und hat entsprechende politische Abwehrreaktionen aus-
gelöst: AC ist das einzige Einzelwerk N.s, das neben diversen N.-Anthologien
in der Sowjetischen Besatzungszone und in der frühen DDR auf den Listen der
auszusondernden Literatur figuriert, d. h. aus Bibliotheken und Buchhandel
entfernt werden sollte (Liste der auszusondernden Literatur 1946, Nr. 8424;
Liste der auszusondernden Literatur 1948, Nr. 5619; Liste der auszusondernden
Literatur 1953, Nr. 3601). Die Zensuranweisung betraf nur drei bestimmte Aus-
gaben von AC, nämlich diejenigen von Friedrich Murawski (1940), Ernst Precht
(1941) und Wilhelm Matthiessen (1941). Diese drei Ausgaben stellten in den
Paratexten AC dezidiert in den Dienst des Nationalsozialismus. Offensichtlich
hat sich AC für eine solche direkte Inanspruchnahme besonders geeignet.
Immerhin hat noch Adolf Eichmann im Schlusswort zu seinem Gerichtsverfah-
ren in Jerusalem von der „staatlicherseits vorgeschriebenen Umwertung der
Werte" gesprochen (Arendt 1964, 16).
AC ist besonders signifikant für die N.-Rezeption im Bereich von Religion
und Religionskritik. Einerseits wirkte die Schrift katalytisch bei der Begrün-
 
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