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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0089
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66 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

176, 13 f. Der protestantische Pfarrer ist Grossvater der deutschen Philosophie]
Die Stelle erhält ihre ironische Pointe auch dadurch, dass beide Großväter
N.s — David Ernst Oehler und Friedrich August Ludwig N. — evangelische Pfar-
rer waren.
In seiner Romantischen Schule hat Heinrich Heine eine Genealogie der
deutschen Philosophie entworfen, die ebenfalls mit Verwandtschaftsbeziehun-
gen operiert: „Wahrlich, ohne alle Partheilichkeit habe ich Geistesfreiheit und
Protestantismus zusammen genannt; und in der That, es besteht in Deutsch-
land ein freundschaftliches Verhältniss zwischen beiden. Auf jeden Fall sind
sie beide verwandt und zwar wie Mutter und Tochter. Wenn man auch der
protestantischen Kirche manche fatale Engsinnigkeit vorwirft, so muss man
doch zu ihrem unsterblichen Ruhme bekennen: indem durch sie die freie For-
schung in der christlichen Religion erlaubt und die Geister vom Joche der Auto-
rität befreit wurden, hat die freie Forschung überhaupt in Deutschland Wurzel
schlagen und die Wissenschaft sich selbständig entwickeln können. Die deut-
sche Philosophie, obgleich sie sich jetzt neben die protestantische Kirche stellt,
ja sich über sie heben will, ist doch immer nur ihre Tochter; als solche ist sie
immer in Betreff der Mutter zu einer schonenden Pietät verpflichtet." (Heine
1869, 155, vgl. Kaufmann 1982, 411, Anm. 8) Während Heine trotz aller „Engsin-
nigkeit" dem Protestantismus Lob zollt, weil er Geistesfreiheit ermögliche,
kommentiert N. seine „halbseitige Lähmung" spöttisch; während Heine die
Philosophie zu „schonender Pietät" gegenüber ihrer „Mutter" ermahnt, verab-
scheut N. diese „Pietät".
176, 15-17 der Protestantismus selbst ihr peccatum originale. Definition des Pro-
testantismus: die halbseitige Lähmung des Christenthums — und der Vernunft...]
Korrigiert im Druckmanuskript aus: „von ihnen aus wird selbst die Wissen-
schaft noch beständig vergiftet" (KSA 14, 438).
Eine ähnliche innere Widersprüchlichkeit des Protestantismus hat Guyau
1887, 120 vermerkt: „Si le protestantisme a servi finalement la liberte de consci-
ence, c'est que toute heresie est un exemple de liberte et d'affranchissement
qui entraine apres lui une serie d'autres heresies. En d'autres termes, Theresie
est une conquete du doute sur la foi. Par le doute, le protestantisme sert la
liberte; par la foi, il cesserait de la servir et la menacerait, s'il etait logique.
Mais le caractere de certains esprits est precisement de s'arreter en toutes cho-
ses ä moitie chemin. Entre l'autorite et la liberte, entre la foi et la raison, entre
le passe et Tavenir." (Von „Mais" an von N. mit Randstrich markiert, Kursivier-
tes von ihm unterstrichen. „Wenn der Protestantismus schließlich der Gewis-
sensfreiheit zuträglich war, liegt das daran, dass jede Häresie ein Beispiel für
Freiheit und Befreiung ist, das eine Folge von weiteren Häresien nach sich
zieht. Anders gesagt, die Häresie ist der Triumph des Zweifels über den Glau-
 
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