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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0447
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424 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

Bacon, der sonst bei N. wenig Beachtung findet, gilt in EH Warum ich so
klug bin 4 als Vater einer auf Experimente abzielenden, realistischen Wissen-
schaft, der — wurde er doch 1621 als Lordkanzler von England wegen Bestech-
lichkeit gestürzt und verurteilt — auch vor Verbrechen nicht zurückschreckte
und als „Selbstthierquäler" sich schließlich (bei Kälte-Konservierungsexperi-
menten an toten Hühnern) eine tödliche Krankheit zuzog. Zur Bacon-Shake-
speare-Diskussion, auf die N. Bezug nimmt, siehe auch Large 2009b, 23-25.
Large bemerkt, dass bei N. „die direkteste Identifizierung der zwei Schriftsteller
miteinander gerade in Ecce homo erfolgt, also in dem Text, wo es bei ihm am
meisten auf Fragen der Identität und der Urheberschaft ankommt. Er betrach-
tet den Namen ,Shakespeare' als persona, als Maske, und bewundert Bacon
dementsprechend in einem Text, wo er sonst so bemüht ist, seinen eigenen
Namen als Zusammenstellung von Pseudonymen zu erklären" (Large 2009b,
25). An Cosima Wagner heißt es am 03. 01. 1889: „Ich bin unter Indern Buddha,
in Griechenland Dionysos gewesen, — Alexander und Caesar sind meine Inkar-
nationen, insgleichen der Dichter des Shakespeare Lord Bakon." (KSB 8,
Nr. 1241, S. 573, Z. 6-8; diese multiple Identifikation nimmt Verse des Ausonius
über den universellen Gott Dionysos auf, vgl. Schmidt / Schmidt-Berger 2008,
149).
Hamlet — die Figur und die Tragödie — ist seit GT 7, KSA 1, 56 f. in N.s
Werken präsent, freilich in unterschiedlicher Akzentuierung (vgl. Benne
2005a). Für sein Auftreten in 287, 12-15 scheint ein Aufsatz von Bourget Pate
gestanden zu haben — darauf verweist auch ein Nachtrag zu JGB 270 (KSA 5,
226, 12) in N.s Handexemplar, offensichtlich in Vorbereitung von Nietzsche con-
tra Wagner: „der Cynismus Hamlets" (KSA 14, 373). Bourget 1889a, 1, 360 hat
zu bedenken gegeben: „Hamlet est singulierement cynique" („Hamlet ist ein-
zigartig zynisch"). Bourget sieht Hamlets Problem nicht in dessen Zögerlich-
keit, sondern in einer „douleur trop forte pour sa sensibilite" (ebd., 358 —
„einem zu starken Schmerz für seine Empfindsamkeit"). Er sei der „monstreuse
verite" („monströsen Wahrheit") eigentlich nicht gewachsen gewesen und
habe Angst davor gehabt. Bourget findet das Lachen Hamlets, seinen Sarkas-
mus explizit bei Chamfort, Schopenhauer und bei dem „plus cruel des
moqueurs, ce pauvre Henri Heine" („dem grausamsten aller Spötter, dem
armen Heinrich Heine") wieder „— parmi toute cette descendance d'Hamlet,
le plus mortellement blesse le plus pareil aussi au heros de Shakespeare par
les jaillissements de la poesie ä travers les eclats de l'ironie sacrilege et les
frenesies de la folie" (ebd., 360 „— welcher unter allen Nachfahren Hamlets
der am tödlichsten Verletzte ist und dem Helden Shakespeares im Ausdruck
der Poesie durch die Ausbrüche frevlerischer Ironie und frenetischen Wahn-
sinns am ähnlichsten". Bourget 1886, 291-294 stellt weitere Überlegungen zu
Hamlet und zur Frage des Traums an, die N. teilweise markiert hat).
 
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