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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0464
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Stellenkommentar EH klug, KSA 6, S. 294-295 441

resse bei der electrischen Reizung der Hirnoberfläche richtet sich nicht sowohl
auf die Frage, welches die eigentlichen von der Reizung dieses oder jenes
Gebietes herrührenden Bewegungen seien, als vielmehr auf die wichtige That-
sache, daß Reizung verschiedener Regionen verschiedene Folgen hat, woraus
hervorgeht, daß in der Hirnoberfläche eine ,Localisation der Functionen'
besteht." N.s Folgerung, wonach Bewusstsein nur Oberfläche sei, wird freilich
von Fosters gehirnphysiologischen Erörterungen nicht hinreichend gedeckt.
294, 24-26 Nichts vermischen, Nichts „versöhnen"; eine ungeheure Vielheit, die
trotzdem das Gegenstück des Chaos ist] N. stellt seine multizentrische Persön-
lichkeit, die ihn offenbar so geeignet für das Umwertungsunternehmen macht,
nicht als eine hegelianische Synthese, Versöhnung von Gegensätzen dar. Auch
hierin vermeidet er jede Assoziierbarkeit seiner Person und seines Denkens mit
der philosophischen Tradition.
294, 31-34 Es fehlt in meiner Erinnerung, dass ich mich je bemüht hätte, — es
ist kein Zug von Ringen in meinem Leben nachweisbar, ich bin der Gegensatz
einer heroischen Natur.] Gerade das „Ringen" charakterisiert die Selbstwahr-
nehmung des deutschen Dichters und Denkers seit dem späten 18. Jahrhundert
und findet in Goethes Faust-Figur seine symptomatische Artikulation. Auch
hier präsentiert sich das sprechende Ich von EH gegensätzlich — wodurch der
Eindruck erweckt wird, alles geschehe bei diesem Ich naturnotwendig. In AC
29, KSA 6, 199, 27-200, 1 hat N. Renans Darstellung Jesu als Held zurückgewie-
sen und das Unheroische, den „Gegensatz zu allem Ringen" als Charakteristi-
kum seines Erlösertypus hervorgehoben. Durch seine Selbstdarstellung als
unheroisch in 294, 31-34 nähert sich N. wiederum selbst seinem eigenen Erlö-
sertypus an (vgl. Detering 2009, 21 u. Detering 2010, 109), ohne dass daraus
freilich eine (Über-)Identifikation folgen müsste.
295, 2-10 Noch in diesem Augenblick sehe ich auf meine Zukunft — eine weite
Zukunft! — wie auf ein glattes Meer hinaus: kein Verlangen kräuselt sich auf
ihm. Ich will nicht im Geringsten, dass Etwas anders wird als es ist; ich selber
will nicht anders werden. Aber so habe ich immer gelebt. Ich habe keinen
Wunsch gehabt. Jemand, der nach seinem vierundvierzigsten Jahre sagen kann,
dass er sich nie um Ehren, um Weiber, um Geld bemüht hat! — Nicht dass
sie mir gefehlt hätten...] N. variiert diese Selbstbeobachtung in seinem Brief an
Brandes, 23. 05. 1888 (KSB 8, Nr. 1036, S. 318) und stellt sie in NL 1888, KSA 13,
16[44], 501, 16-25 explizit in eine geistesgeschichtliche Tradition: „In meinem
Leben giebt es wirklich Überraschungen: das kommt daher, daß (ich) nicht
gern mit dem, was möglich sein könnte, beschäftigt bin: Beweis, wie sehr ich
in Gedanken lebe... Ein Zufall brachte mir das vor einigen Tagen zu Bewußt-
sein: in mir fehlt der Begriff ,Zukunft', ich sehe vorwärts wie über eine glatte
 
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