484 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
310, 15-18 Die zwei entscheidenden Neuerungen des Buchs sind einmal das
Verständniss des dionysischen Phänomens bei den Griechen: es giebt dessen
erste Psychologie, es sieht in ihm die Eine Wurzel der ganzen griechischen Kunst.]
In GD Was ich den Alten verdanke 4, zitierte N. aus August Lobecks Aglaopha-
mus einen Text, der die befremdlichen dionysischen Kultgebräuche darauf
zurückführte, dass die „Griechen", wenn sie „nichts Anderes zu thun hatten",
entweder lachten oder weinten. N. bezog diese Stelle freilich nicht direkt aus
Lobecks lateinischer Originalschrift, sondern aus einer deutschen Zitat-Über-
setzung, die er in den Erläuterungen zu Franz Anton von Besnards Arnobius-
Ausgabe gefunden hatte (siehe NK KSA 6, 158, 23-159, 2). Auf dieses von N.
mit drei Randstrichen markierte Lobeck-Zitat in der Arnobius-Ausgabe folgt
unmittelbar der folgende Kommentar von Besnard: „Dieß wäre nun allerdings
eine leichte Erklärungsmethode, die auch auf andere Zweige der /565/ Alter-
thumskunde zur Ersparung mannichfacher Schwierigkeiten angewendet wer-
den könnte: denn warum sollten die alten Menschen nicht eben so temere
gesprochen und gedichtet haben als die Götter verehrt haben? Nur bleibt
gerade das eben unerklärt, was am meisten Erklärung fordert: die Konsequenz,
mit der bei den Griechen das Rasen ([...]) nur gerade im Kult des Dionysos; das
muthwillige, zügellose Schäckern und Spotten, wofür Aristoteles Pol. VII, 15
das Kunstwort TwOanpoq hat, fast allein bei der Demeter vorkam, und über-
haupt die Extreme der Empfindung vom Kultus der olympischen Götter ausge-
schlossen dem der chthonischen, wozu die genannten gehörten, zugetheilt
waren. Wer hier eigenthümliche, wenn auch räthselhaft, ja verirrte religiöse
Empfindungsweisen und Gemüthsstimmungen verkennt, der versperrt sich
offenbar den Weg zum Eindringen, welchen eine unbefangene, umfassende
historische Psychologie am leichtesten anbahnen könnte. Da nun ferner aus
diesen Festgebräuchen bei den Griechen die lyrische Poesie hervorwuchs, wie
Jambus und Komödie aus dem TwOaopdg, der Dithyramb und die Tragödie aus
dem bakchischen Gefühl, und jene angeblich so leichtsinnig erfundenen
Mythen mit andern die Grundlage der gesammten erzählenden Poesie gewor-
den sind, so ist, wie K. 0. Müller (Gött. gel. Anz. 1830 S. 138) sagt, hält man
mit Lobeck jene Festgebräuche für völlig willkürlich und gehaltlos, einem zu
Muthe, als sähe man das ganze Gebäude griechischer Kunst und Bildung sei-
ner Wurzeln in den Tiefen des menschlichen Geistes beraubt in's Bodenlose
versinken." (Arnobius 1842, 564 f. Kursiviertes von N. unterstrichen; die letzten
Zeilen mit dreifachem Randstrich markiert).
Besnard grenzt sich also zum einen wie N. in GD von Lobecks Simplifizie-
rung und Vulgärpsychologisierung des Dionysischen ab, stellt aber zum
andern heraus, dass das Dionysische gerade die absolute Ausnahme im grie-
chischen Kultleben sei. N. war demnach keineswegs, wie 310, 15-18 nahelegen
310, 15-18 Die zwei entscheidenden Neuerungen des Buchs sind einmal das
Verständniss des dionysischen Phänomens bei den Griechen: es giebt dessen
erste Psychologie, es sieht in ihm die Eine Wurzel der ganzen griechischen Kunst.]
In GD Was ich den Alten verdanke 4, zitierte N. aus August Lobecks Aglaopha-
mus einen Text, der die befremdlichen dionysischen Kultgebräuche darauf
zurückführte, dass die „Griechen", wenn sie „nichts Anderes zu thun hatten",
entweder lachten oder weinten. N. bezog diese Stelle freilich nicht direkt aus
Lobecks lateinischer Originalschrift, sondern aus einer deutschen Zitat-Über-
setzung, die er in den Erläuterungen zu Franz Anton von Besnards Arnobius-
Ausgabe gefunden hatte (siehe NK KSA 6, 158, 23-159, 2). Auf dieses von N.
mit drei Randstrichen markierte Lobeck-Zitat in der Arnobius-Ausgabe folgt
unmittelbar der folgende Kommentar von Besnard: „Dieß wäre nun allerdings
eine leichte Erklärungsmethode, die auch auf andere Zweige der /565/ Alter-
thumskunde zur Ersparung mannichfacher Schwierigkeiten angewendet wer-
den könnte: denn warum sollten die alten Menschen nicht eben so temere
gesprochen und gedichtet haben als die Götter verehrt haben? Nur bleibt
gerade das eben unerklärt, was am meisten Erklärung fordert: die Konsequenz,
mit der bei den Griechen das Rasen ([...]) nur gerade im Kult des Dionysos; das
muthwillige, zügellose Schäckern und Spotten, wofür Aristoteles Pol. VII, 15
das Kunstwort TwOanpoq hat, fast allein bei der Demeter vorkam, und über-
haupt die Extreme der Empfindung vom Kultus der olympischen Götter ausge-
schlossen dem der chthonischen, wozu die genannten gehörten, zugetheilt
waren. Wer hier eigenthümliche, wenn auch räthselhaft, ja verirrte religiöse
Empfindungsweisen und Gemüthsstimmungen verkennt, der versperrt sich
offenbar den Weg zum Eindringen, welchen eine unbefangene, umfassende
historische Psychologie am leichtesten anbahnen könnte. Da nun ferner aus
diesen Festgebräuchen bei den Griechen die lyrische Poesie hervorwuchs, wie
Jambus und Komödie aus dem TwOaopdg, der Dithyramb und die Tragödie aus
dem bakchischen Gefühl, und jene angeblich so leichtsinnig erfundenen
Mythen mit andern die Grundlage der gesammten erzählenden Poesie gewor-
den sind, so ist, wie K. 0. Müller (Gött. gel. Anz. 1830 S. 138) sagt, hält man
mit Lobeck jene Festgebräuche für völlig willkürlich und gehaltlos, einem zu
Muthe, als sähe man das ganze Gebäude griechischer Kunst und Bildung sei-
ner Wurzeln in den Tiefen des menschlichen Geistes beraubt in's Bodenlose
versinken." (Arnobius 1842, 564 f. Kursiviertes von N. unterstrichen; die letzten
Zeilen mit dreifachem Randstrich markiert).
Besnard grenzt sich also zum einen wie N. in GD von Lobecks Simplifizie-
rung und Vulgärpsychologisierung des Dionysischen ab, stellt aber zum
andern heraus, dass das Dionysische gerade die absolute Ausnahme im grie-
chischen Kultleben sei. N. war demnach keineswegs, wie 310, 15-18 nahelegen