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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0525
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502 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

unverbesserlichen Flachköpfen und Hanswürsten der „modernen Ideen" befinde
ich mich sogar in einem tieferen Zwiespalt als mit Irgendwem von ihren Gegnern.
Sie wollen auch, auf ihre Art, die Menschheit „verbessern", nach ihrem Bilde, sie
würden gegen das, was ich bin, was ich will, einen unversöhnlichen Krieg
machen, gesetzt dass sie es verstünden, — sie glauben allesammt noch ans
„Ideal"... Ich bin der erste Immoralist] In UB I DS war das Thema der Frei-
geisterei von untergeordneter Bedeutung, ja tauchte explizit nur an einer einzi-
gen Stelle auf, wo N. meinte feststellen zu müssen, dass Strauß öfter schwanke,
„ob er es dem tapferen dialektischen Ungestüm Lessings gleichthun solle, oder
ob es ihm besser anstehe, sich als faunischen, freigeisterischen Alten in der
Art Voltaires zu gebärden" (UB I DS 10, KSA 1, 216, 31-217, 2). In der Götzen-
Dämmerung hingegen behauptet N., er habe mit seiner Polemik gegen Strauß
„die Entartung unsres ersten deutschen Freigeistes" (GD Was den Deutschen
abgeht 2, KSA 6, 104, 31) darstellen wollen. Zur Abfassungszeit von UB I DS
war N. der Freigeisterei in einem allgemeinen Sinn, nämlich als Abschied von
den traditionellen religiösen und weltanschaulichen Bindungen durchaus
zugetan; sie assoziierte sich etwa mit den von N. intensiv studierten Werken
des Amerikaners Ralph Waldo Emerson. In diesem Sinne erschien Wagner als
Freigeist, und N. konnte sich Gedanken machen zu einem (nie geschriebenen)
Buch unter dem Titel „Die Tragödie und die Freigeister" (NL 1870/71, KSA 7,
5[22], 97, 20).
Nach der Abkehr von Wagner schrieb N. mit Menschliches, Allzumenschli-
ches ein Buch, das gemäß dem Untertitel „für freie Geister" (KSA 2, 9, 3)
bestimmt sein sollte. N. schloss sich hier an die freigeistige Tradition der fran-
zösischen Aufklärung an und pflegte zur Differenzierung von der landläufigen,
mittelmäßigen Freigeisterei der Zeitgenossen, das Kompositum „Freigeist" bei
Selbstzuschreibungen durch „freien Geist" zu ersetzen. Im Spätwerk übergießt
N. die Freigeisterei seiner Zeitgenossen mit Spott, etwa da, wo er die theologi-
sche Kontamination aller gängigen Philosophie beklagt: „die Freigeisterei uns-
rer Herrn Naturforscher und Physiologen ist in meinen Augen ein Spaass, —
ihnen fehlt die Leidenschaft in diesen Dingen, das Leiden an ihnen" (AC 8,
KSA 6, 174, 24-27). Die Freigeister, zu denen N. nun namentlich Strauß rechnet,
sind nicht radikal genug; sie verabschieden zwar das Christentum, aber nicht
die vom Christentum inspirierte Moral: Man habe, so JGB 44, KSA 5, 60, 30-
61, 3, den „Begriff ,freier Geist' undurchsichtig gemacht [...]. In allen Ländern
Europa's und ebenso in Amerika giebt es jetzt Etwas, das Missbrauch mit die-
sem Namen treibt, eine sehr enge, eingefangne, an Ketten gelegte Art von Geis-
tern, welche ungefähr das Gegentheil von dem wollen, was in unsern Absich-
ten und Instinkten liegt." (Vgl. auch NK 351, 5) Ähnlich kritisch zu einer
bestimmten Form von „Freidenkern" hatte sich auch Bourget in seinem Aufsatz
 
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