538 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
Im April 1882 lernte N. in Rom Lou von Salome (1861-1937) kennen. Die
Beziehung zur „jungen Russin" (336, 19 f.), die von April bis Ende 1882 dauerte,
war für N. ein aufwühlendes Erlebnis (zur Lou-Episode vgl. z. B. Janz 1978, 2,
110-172 sowie Diethe 2000, 64-79). N. glaubte schon bald, in der wesentlich
jüngeren Russin eine ihm tief verwandte Natur, eine „übernatürliche Schwes-
ter" (N. an Paul Ree, vermutlich 15. 09. 1882, KSB 6, Nr. 303, S. 258, Z. 23) zu
erkennen, und meinte, sie sei „auf die erstaunlichste Weise gerade für meine
Denk- und Gedankenweise vorbereitet." (N. an Köselitz, 13. 07. 1882, KSB 6,
Nr. 263, S. 222, Z. 26-28) Wie sein Freund Paul Ree bewunderte, verehrte und
liebte er Lou. Ihrer beider „Intelligenzen und Geschmäcker" beschrieb er als
„im Tiefsten verwandt — und es giebt andererseits der Gegensätze so viele,
daß wir für einander die lehrreichsten Beobachtungs-Objekte und -Subjekte
sind" (N. an Overbeck, 09. 09. 1882, KSB 6, Nr. 301, S. 255 f., Z. 31-34). Höhe-
punkt ihres Umgangs miteinander war ein dreiwöchiger Aufenthalt im thürin-
gischen Tautenburg im August 1882 (vgl. Sommer 2009b). Dort vertraute N. ihr
u. a. seinen bis dahin geheim gehaltenen Gedanken der ewigen Wiederkunft
des Gleichen an. „Erst seit diesem Verkehre war ich reif zu meinem Zarathust-
ra)" (N. an Elisabeth N. [Entwurf], Januar/Februar 1884, KSB 6, Nr. 481, S. 467,
Z. 9 f.), berichtete er rückblickend.
Am 24. August 1882 bekam N. von Lou zum Abschied von Tautenburg ein
Gedicht geschenkt, das diese zu Beginn ihrer Zürcher Studienzeit 1880 verfasst
hatte. Es trägt den Titel „Lebensgebet" und wurde von der Verfasserin später
in ihrer Autobiographie wie folgt wiedergegeben: „Gewiß, so liebt ein Freund
den Freund, / Wie ich Dich liebe, Rätselleben — / Ob ich in Dir gejauchzt,
geweint, / Ob Du mir Glück, ob Schmerz gegeben. / Ich liebe Dich samt Deinem
Harme; / Und wenn Du mich vernichten mußt, / Entreiße ich mich Deinem
Arme / Wie Freund sich reißt von Freundesbrust. // Mit ganzer Kraft umfaß
ich Dich! / Laß Deine Flammen mich entzünden, / Laß noch in Glut des Kamp-
fes mich / Dein Rätsel tiefer nur ergründen. // Jahrtausende zu sein! zu den-
ken! / Schließ mich in beide Arme ein: / Hast Du kein Glück mehr mir zu
schenken — / Wohlan — noch hast Du Deine Pein." (Andreas-Salome 1968, 40)
Kaum von Tautenburg nach Naumburg zurückgekehrt, begann N. das Gedicht
zu vertonen. Er verwendete dafür den Hymnusteil seiner Phantasie von 1873/
74 und zwang den Text unter die vorgegebene Melodie, die er nur wenig verän-
derte (vgl. Nietzsche 1976, 151 f. und 340 f.).
N. verriet weder Lou (vgl. seinen Brief von Ende August 1882, KSB 6,
Nr. 293, S. 247), noch seinem Freund Köselitz, dem er die Komposition schickte
(vgl. den Brief vom 01. 09. 1882, KSB 6, Nr. 295, S. 249 f.), dass seine Liedverto-
nung das Material einer früheren Komposition lediglich wiederverwertete.
Köselitz gegenüber verschwieg er außerdem die Autorschaft des Textes, wie er
Im April 1882 lernte N. in Rom Lou von Salome (1861-1937) kennen. Die
Beziehung zur „jungen Russin" (336, 19 f.), die von April bis Ende 1882 dauerte,
war für N. ein aufwühlendes Erlebnis (zur Lou-Episode vgl. z. B. Janz 1978, 2,
110-172 sowie Diethe 2000, 64-79). N. glaubte schon bald, in der wesentlich
jüngeren Russin eine ihm tief verwandte Natur, eine „übernatürliche Schwes-
ter" (N. an Paul Ree, vermutlich 15. 09. 1882, KSB 6, Nr. 303, S. 258, Z. 23) zu
erkennen, und meinte, sie sei „auf die erstaunlichste Weise gerade für meine
Denk- und Gedankenweise vorbereitet." (N. an Köselitz, 13. 07. 1882, KSB 6,
Nr. 263, S. 222, Z. 26-28) Wie sein Freund Paul Ree bewunderte, verehrte und
liebte er Lou. Ihrer beider „Intelligenzen und Geschmäcker" beschrieb er als
„im Tiefsten verwandt — und es giebt andererseits der Gegensätze so viele,
daß wir für einander die lehrreichsten Beobachtungs-Objekte und -Subjekte
sind" (N. an Overbeck, 09. 09. 1882, KSB 6, Nr. 301, S. 255 f., Z. 31-34). Höhe-
punkt ihres Umgangs miteinander war ein dreiwöchiger Aufenthalt im thürin-
gischen Tautenburg im August 1882 (vgl. Sommer 2009b). Dort vertraute N. ihr
u. a. seinen bis dahin geheim gehaltenen Gedanken der ewigen Wiederkunft
des Gleichen an. „Erst seit diesem Verkehre war ich reif zu meinem Zarathust-
ra)" (N. an Elisabeth N. [Entwurf], Januar/Februar 1884, KSB 6, Nr. 481, S. 467,
Z. 9 f.), berichtete er rückblickend.
Am 24. August 1882 bekam N. von Lou zum Abschied von Tautenburg ein
Gedicht geschenkt, das diese zu Beginn ihrer Zürcher Studienzeit 1880 verfasst
hatte. Es trägt den Titel „Lebensgebet" und wurde von der Verfasserin später
in ihrer Autobiographie wie folgt wiedergegeben: „Gewiß, so liebt ein Freund
den Freund, / Wie ich Dich liebe, Rätselleben — / Ob ich in Dir gejauchzt,
geweint, / Ob Du mir Glück, ob Schmerz gegeben. / Ich liebe Dich samt Deinem
Harme; / Und wenn Du mich vernichten mußt, / Entreiße ich mich Deinem
Arme / Wie Freund sich reißt von Freundesbrust. // Mit ganzer Kraft umfaß
ich Dich! / Laß Deine Flammen mich entzünden, / Laß noch in Glut des Kamp-
fes mich / Dein Rätsel tiefer nur ergründen. // Jahrtausende zu sein! zu den-
ken! / Schließ mich in beide Arme ein: / Hast Du kein Glück mehr mir zu
schenken — / Wohlan — noch hast Du Deine Pein." (Andreas-Salome 1968, 40)
Kaum von Tautenburg nach Naumburg zurückgekehrt, begann N. das Gedicht
zu vertonen. Er verwendete dafür den Hymnusteil seiner Phantasie von 1873/
74 und zwang den Text unter die vorgegebene Melodie, die er nur wenig verän-
derte (vgl. Nietzsche 1976, 151 f. und 340 f.).
N. verriet weder Lou (vgl. seinen Brief von Ende August 1882, KSB 6,
Nr. 293, S. 247), noch seinem Freund Köselitz, dem er die Komposition schickte
(vgl. den Brief vom 01. 09. 1882, KSB 6, Nr. 295, S. 249 f.), dass seine Liedverto-
nung das Material einer früheren Komposition lediglich wiederverwertete.
Köselitz gegenüber verschwieg er außerdem die Autorschaft des Textes, wie er