Stellenkommentar EH JGB, KSA 6, S. 349-350 573
Simon (Petrus) und Andreas mit den Worten „Folget mir nach; ich will euch zu
Menschenfischern machen!" (Matthäus 4, 19) zu seinen ersten Jüngern berufen
haben. Seither gehört die Menschenfischerei zu den angestammten Aufgaben
christlicher Religionsvertreter, zu denen N. hier in eine ironisch gebrochene
Konkurrenz tritt: Er will ja nicht die große Masse, sondern eine kleine, auser-
wählte Schar von „Verwandten" fischen — und nicht einmal damit hat er, wie
er sich gleich eingesteht, bislang Erfolg gehabt (350, 14-16). Vgl. NK KSA 6,
393, 21 f.
2
Am Ende dieses Abschnitts standen folgende, von N. wieder durchgestrichene
Worte: „Was sagt doch, unter anderen anmuthigen Zweideutigkeiten, mein gro-
ßer Lehrer Dionysos selbst am Schlüsse dieses harten und allzuernsten
Buches?" (KSA 14, 499, vgl. JGB 295, KSA 5, 237-239) Eine zweite, ebenfalls
wieder gestrichene Variante lautete: „Was sagt doch, hinter einer kleinen Psy-
chologie meines großen Lehrers, Dionysos, die den Schluß des Buchs
macht, dieser selbst? Er redet beinahe selber wie jene berühmte Schlange..."
(KSA 14, 499, vgl. JGB 295, KSA 5, 237-239 und JGB 129, KSA 5, 95).
350, 18-23 Dies Buch (1886) ist in allem Wesentlichen eine Kritik der
Modernität, die modernen Wissenschaften, die modernen Künste, selbst die
moderne Politik nicht ausgeschlossen, nebst Fingerzeigen zu einem Gegensatz-
Typus, der so wenig modern als möglich ist, einem vornehmen, einem jasagenden
Typus.] Vgl. NK KSA 6, 12, 25-34.
350, 23-25 Im letzteren Sinne ist das Buch eine Schule des gentilhomme,
der Begriff geistiger und radikaler genommen als er je genommen worden
ist.] In EH WA 4, KSA 6, 362, 13-16 bekundet N., er prüfe bei einem Menschen,
„ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung
zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguirt: damit ist man gentil-
homme". Der französische Ausdruck „gentilhomme" für Edelmann kommt in
N.s Werken — auch in JGB — sonst nicht vor. Offensichtlich hat dieser Ausdruck
N. angesprochen, als er nach einer Benennung für den durch Distinktion,
Unterscheidungsbewusstsein und Vornehmheit charakterisierten Ausnahme-
menschen suchte, zumal er die französische Kultur des 17. Jahrhunderts als
paradigmatisch vornehme Kultur anzusehen gewohnt war. Es gibt im Übrigen
in der Aufklärungszeit ein Werk, das tatsächlich Schule des gentilhomme heißt,
nämlich die 1754 (angeblich) in Lausanne erstmals erschienene, mehrfach auf-
gelegte und ins Deutsche übersetzte Ecole du gentilhomme ou entretiens de feu
Simon (Petrus) und Andreas mit den Worten „Folget mir nach; ich will euch zu
Menschenfischern machen!" (Matthäus 4, 19) zu seinen ersten Jüngern berufen
haben. Seither gehört die Menschenfischerei zu den angestammten Aufgaben
christlicher Religionsvertreter, zu denen N. hier in eine ironisch gebrochene
Konkurrenz tritt: Er will ja nicht die große Masse, sondern eine kleine, auser-
wählte Schar von „Verwandten" fischen — und nicht einmal damit hat er, wie
er sich gleich eingesteht, bislang Erfolg gehabt (350, 14-16). Vgl. NK KSA 6,
393, 21 f.
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Am Ende dieses Abschnitts standen folgende, von N. wieder durchgestrichene
Worte: „Was sagt doch, unter anderen anmuthigen Zweideutigkeiten, mein gro-
ßer Lehrer Dionysos selbst am Schlüsse dieses harten und allzuernsten
Buches?" (KSA 14, 499, vgl. JGB 295, KSA 5, 237-239) Eine zweite, ebenfalls
wieder gestrichene Variante lautete: „Was sagt doch, hinter einer kleinen Psy-
chologie meines großen Lehrers, Dionysos, die den Schluß des Buchs
macht, dieser selbst? Er redet beinahe selber wie jene berühmte Schlange..."
(KSA 14, 499, vgl. JGB 295, KSA 5, 237-239 und JGB 129, KSA 5, 95).
350, 18-23 Dies Buch (1886) ist in allem Wesentlichen eine Kritik der
Modernität, die modernen Wissenschaften, die modernen Künste, selbst die
moderne Politik nicht ausgeschlossen, nebst Fingerzeigen zu einem Gegensatz-
Typus, der so wenig modern als möglich ist, einem vornehmen, einem jasagenden
Typus.] Vgl. NK KSA 6, 12, 25-34.
350, 23-25 Im letzteren Sinne ist das Buch eine Schule des gentilhomme,
der Begriff geistiger und radikaler genommen als er je genommen worden
ist.] In EH WA 4, KSA 6, 362, 13-16 bekundet N., er prüfe bei einem Menschen,
„ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung
zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguirt: damit ist man gentil-
homme". Der französische Ausdruck „gentilhomme" für Edelmann kommt in
N.s Werken — auch in JGB — sonst nicht vor. Offensichtlich hat dieser Ausdruck
N. angesprochen, als er nach einer Benennung für den durch Distinktion,
Unterscheidungsbewusstsein und Vornehmheit charakterisierten Ausnahme-
menschen suchte, zumal er die französische Kultur des 17. Jahrhunderts als
paradigmatisch vornehme Kultur anzusehen gewohnt war. Es gibt im Übrigen
in der Aufklärungszeit ein Werk, das tatsächlich Schule des gentilhomme heißt,
nämlich die 1754 (angeblich) in Lausanne erstmals erschienene, mehrfach auf-
gelegte und ins Deutsche übersetzte Ecole du gentilhomme ou entretiens de feu