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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0600
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Stellenkommentar EH GM, KSA 6, S. 351-352 577

sen 1883, 321). Das Motiv der Bosheit und Abgründigkeit Gottes kehrt in EH
GM, KSA 6, 352, 6 f. wieder: „Dionysos ist, man weiss es, auch der Gott der
Finsterniss." Dort wird der mythologische Horizont des Alten Testaments durch
den des alten Griechenlands ersetzt.
N.s gewagten und kreativen Umgang mit den alttestamentlichen Schöp-
fungs- und Sündenfallmythen in 351, 22-27 und in AC 48 greift Hans Blumen-
berg in der Arbeit am Mythos auf (Blumenberg 1996, 195). Paul Celan hat sich
den Text 351, 22-27 in seinem Ecce homo-Exemplar markiert (Celan 2004, 229).

Genealogie der Moral.
352, 6 f. Dionysos ist, man weiss es, auch der Gott der Finsterniss.] Vgl. NK 351,
22-27. Die Vorstellung von Dionysos als „Gott der Finsterniss", als Unterwelts-
gott, wird in einem Fragment Heraklits evoziert: „ei pq ydp Atovvow nopnqv
enotovvTO Kai vpveov aapa aiöoioiaiv, dvaiöeoTaTa' eipyaoT av° wuTog äe Aidry;
Kai Aiövvaog, otew paivovTat Kai Arivafcovoiv." (Clemens Alexandrinus: Pro-
treptikos 34, 5 = Diels / Kranz 1951, 22 B 15. „Wäre es nämlich nicht für Diony-
sos, für den sie den Umzug veranstalteten und das Lied über die Geschlechts-
organe sängen, wäre es äußerst schamlos. Dionysos, für dessen Ruhm sie rasen
und feiern, ist aber derselbe wie Hades." Zur neueren Interpretation siehe
Ackeren 2006, 134; zu den archäologischen Befunden, die vor allem in Südita-
lien die Verehrung des Dionysos als Unterweltsgott im Zusammenhang der
Mysterienkulte belegen sowie zur Frage, ob Heraklits Fragment hier Beweis-
kraft hat, siehe Bierl 1991, 130, bes. Fn. 56.) Wegen der nächtlichen Feiern
seiner Anhänger gilt der Gott denn auch gelegentlich als eine nächtliche
Gestalt: Dionysos Nyktelios oder Dionysos Nykterinos.
N. suggeriert in 352, 6 f., dass er selbst dieser Gott sei, der nach Abschluss
seines schöpferischen Werks, das er in 351, 22-27 noch ins mythologische
Gewand des Buches Genesis gehüllt hatte, als heidnischer Gott mit der Genea-
logie der Moral in die Unterwelt hinabsteigt, um dort die geheimen Wurzeln der
Moral auszugraben. Zur Vielgestaltigkeit des Dionysos bei N. vgl. auch Sommer
2006a. Schon bei den Griechen hat Dionysos 99 Beinamen.
352, llf. tempo feroce] Italienisch: „wildes Tempo". Es handelt sich nicht um
eine gängige musikalische Tempobezeichnung — im Unterschied zum „Allegro
feroce" (beispielsweise bei Carl Maria von Weber), das N. in seinem Brief an
Josef Viktor Widmann vom 04. 02. 1888 ebenfalls im Blick auf die Genealogie
der Moral gebrauchte, und zwar, als er zu Carl Spittelers Aufsatz Friedrich
Nietzsche aus seinen Werken kritisch Stellung nahm und dabei seinen eigenen
 
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