Stellenkommentar EH GD, KSA 6, S. 353-354 581
353, 12 f. Dies Buch enthält die erste Psychologie des Priesters.] Explizit formu-
lierte N. eine „Psychologie des Priesters" erst in AC 49, KSA 6, 228, 3. In GM
III 10-11, KSA 5, 360-363 stellte N. den „Priester" als Verkörperung der asketi-
schen Ideale hin, wobei er unter dem Begriff des „Priesters" keineswegs nur
offizielle, mit kultischen Aufgaben betraute Repräsentanten einer Religionsge-
meinschaft fasste, sondern recht allgemein Vertreter einer lebensverneinenden
Moral. Die asketischen Priester hätten sich zu den Herrschern der leidenden
Menschen, zu den Hirten einer kranken Herde gemacht, indem sie Heil und
Erlösung versprächen (GM III 15, KSA 5, 372-375). Freilich vermöchten die
Priester das Leiden der Menschen nicht wirklich zu bewältigen, sondern nur
zu dämpfen und betäuben (GM III 17, KSA 5, 377-382). „Der asketische Priester
hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herrschaft gekom-
men ist" (GM III 20, KSA 5, 392, 31 f.).
Götzen-Dämmerung.
In der Chronologie der Entstehung, die N. bei der Besprechung seiner Werke
bisher eingehalten hat, müsste auf die Genealogie der Moral nun die explizit
„Turiner Brief vom Mai 1888" (KSA 6, 13, 2) genannte Streitschrift Der Fall Wag-
ner folgen. N. zog aber die Götzen-Dämmerung vor und gab im selben Kapitel
auch noch einen Ausblick auf die Umwerthung aller Werthe, d. h. den Anti-
christ. Erst das letzte, relativ lange Kapitel ist dem Fall Wagner gewidmet,
wobei dort noch einige weitere gegenwartskritische Bemerkungen unterge-
bracht werden, die den Rahmen der eigentlichen Werk-Retraktation sprengen.
JGB, GM und GD bilden in EH einen Block, nämlich der mit dem Grundsätzli-
chen befassten Moralkritik, des prinzipiellen Neinsagens um des Jasagens wil-
len, während WA als konkrete Gegenwarts- und Kulturkritik auf diesem prinzi-
piellen Neinsagen aufbaut und damit einen fast schon versöhnlichen Ausklang
der Retraktationen gibt. Vgl. NK EH WA.
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354, 5 ein Dämon, welcher lacht] In einer früheren Fassung hieß es an dieser
Stelle: „wie Alles, was ich schreibe" (KSA 14, 500).
In GT 3 berichtete N., wie König Midas den weisen Silen, den Begleiter des
Dionysos, hatte einfangen lassen, um ihn zum Sprechen zu bringen: „Starr
und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen,
endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: ,Elendes Eintagsge-
353, 12 f. Dies Buch enthält die erste Psychologie des Priesters.] Explizit formu-
lierte N. eine „Psychologie des Priesters" erst in AC 49, KSA 6, 228, 3. In GM
III 10-11, KSA 5, 360-363 stellte N. den „Priester" als Verkörperung der asketi-
schen Ideale hin, wobei er unter dem Begriff des „Priesters" keineswegs nur
offizielle, mit kultischen Aufgaben betraute Repräsentanten einer Religionsge-
meinschaft fasste, sondern recht allgemein Vertreter einer lebensverneinenden
Moral. Die asketischen Priester hätten sich zu den Herrschern der leidenden
Menschen, zu den Hirten einer kranken Herde gemacht, indem sie Heil und
Erlösung versprächen (GM III 15, KSA 5, 372-375). Freilich vermöchten die
Priester das Leiden der Menschen nicht wirklich zu bewältigen, sondern nur
zu dämpfen und betäuben (GM III 17, KSA 5, 377-382). „Der asketische Priester
hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herrschaft gekom-
men ist" (GM III 20, KSA 5, 392, 31 f.).
Götzen-Dämmerung.
In der Chronologie der Entstehung, die N. bei der Besprechung seiner Werke
bisher eingehalten hat, müsste auf die Genealogie der Moral nun die explizit
„Turiner Brief vom Mai 1888" (KSA 6, 13, 2) genannte Streitschrift Der Fall Wag-
ner folgen. N. zog aber die Götzen-Dämmerung vor und gab im selben Kapitel
auch noch einen Ausblick auf die Umwerthung aller Werthe, d. h. den Anti-
christ. Erst das letzte, relativ lange Kapitel ist dem Fall Wagner gewidmet,
wobei dort noch einige weitere gegenwartskritische Bemerkungen unterge-
bracht werden, die den Rahmen der eigentlichen Werk-Retraktation sprengen.
JGB, GM und GD bilden in EH einen Block, nämlich der mit dem Grundsätzli-
chen befassten Moralkritik, des prinzipiellen Neinsagens um des Jasagens wil-
len, während WA als konkrete Gegenwarts- und Kulturkritik auf diesem prinzi-
piellen Neinsagen aufbaut und damit einen fast schon versöhnlichen Ausklang
der Retraktationen gibt. Vgl. NK EH WA.
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354, 5 ein Dämon, welcher lacht] In einer früheren Fassung hieß es an dieser
Stelle: „wie Alles, was ich schreibe" (KSA 14, 500).
In GT 3 berichtete N., wie König Midas den weisen Silen, den Begleiter des
Dionysos, hatte einfangen lassen, um ihn zum Sprechen zu bringen: „Starr
und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen,
endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: ,Elendes Eintagsge-