Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0618
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar EH WA, KSA 6, S. 358 595

verherrlichte er, seit 1886 offizieller preußischer Hof-Historiograph, die welthis-
torische Rolle Preußens (zu einer Lektüre-Spur bei N. siehe NK KSA 6, 152,
13). Nach Treitschke machen große Männer Geschichte — ein Konzept, das N.
durchaus nicht fernlag.
Overbeck war während seiner Studienzeit mit Treitschke befreundet, ent-
fremdete sich von ihm jedoch immer stärker, als dieser sich preußisch-nationa-
len und konservativen („nationalliberalen") Ideen zuwandte. Treitschke wie-
derum missfiel die radikale gegenwarts- (und theologie-)kritische Tendenz von
N.s und Overbecks frühen Schriften (vgl. Overbeck 2008, 8, XIV-XVI, 68-70,
87 f. u. ö.; Nietzsche / Overbeck 2000, 447 u. ö. sowie NK 317, 28-318, 2).
Ursprünglich hatten Overbeck und N. gehofft, eine Vorarbeit zur Geburt der
Tragödie in den von Treitschke herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern
unterbringen zu können (Overbeck 2008, 8, 59 f.); als dies nicht zustande kam,
kündigte Overbeck Treitschke die Buchpublikation in seinem Brief vom 21. 12.
1871 mit folgenden Worten an: „Gleich nach Neujahr erscheint der Dir schon
bekannte fragmentarische Aufsatz zur vollständigen Abhandlung ergänzt: Die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Er wird auch Dir gleich zukom-
men. Ich kann nicht alles mitmachen, am wenigsten unbedingt was darin über
Wagnersche Opern zu lesen steht, aber überzeugt bin ich, dass die Arbeit eine
der gedankenreichsten und tiefsinnigsten ist, die wir in Deutschland seit Jahr-
zehnten auf dem Gebiet der Aesthetik gelesen." (Overbeck 2008, 8, 62)
Treitschkes Antwort an Overbeck vom 28. 06. 1872 auf N.s Zusendung von GT
war ernüchternd: „Ich habe mich leider nicht entschliessen können Deinem
Freunde Nietzsche zu schreiben. Ich stehe ihm nicht nahe genug um mit ihm
zu rechten; auch liegen mir diese Stoffe jetzt ziemlich fern. Ich bin doch kein
ganz trockner Kerl, aber diese Phantasterei ist mir zu arg — von dem dionysi-
schen Wundervogel R. Wagner ganz zu geschweigen. Ich sehe mit Bedauern
ein bedeutendes Talent sich in solche Wunderlichkeiten verlieren. Das darfst
Du ihm nicht sagen; aber ich glaube, es wäre Deine Freundespflicht, zuwei-
len Wasser in seinen Wein zu giessen." (Overbeck 2008, 8, 68) Overbeck gelang
es nicht, zwischen seinen beiden Freunden N. und Treitschke zu vermitteln.
Ohne selbst rassischer Antisemit zu sein, löste Treitschke 1879 mit seinem
Aufsatz Unsere Aussichten den sogenannten Berliner Antisemitismus-Streit aus,
indem er gegen die „weichliche Philanthropie unseres Zeitalters" (Treitschke
1879b, 571; vgl. zu N.s ähnlichen Äußerungen z. B. NK KSA 6, 170, 11-13) zu
Felde zog, die völlige kulturelle Assimilation der Juden forderte („sie sollen
Deutsche werden; sich schlicht und recht als Deutsche fühlen" — Treitschke
1879b, 573) und zugleich den vorgeblich ungehinderten Zustrom von Juden
„über unsere Ostgrenze" geißelte (ebd., 572). Das (strategisch gezielt einge-
setzte) Ressentiment gegen diese sogenannten „Ostjuden" findet sich bei N.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften