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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0671
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648 Dionysos-Dithyramben

Dionysischen und seinen „Begriff" von Dionysos als dem Inspirator des Dithy-
rambus. Diesen erörtert er unmittelbar vorher, indem er Zarathustra als Mani-
festation des Dionysos und des Dionysischen mit folgenden Worten charakteri-
siert: „in ihm sind alle Gegensätze zu einer neuen Einheit gebunden. Die
höchsten und die untersten Kräfte der menschlichen Natur" (KSA 6, 343, 24-
26); und weiter: „Zarathustra fühlt sich gerade in diesem Umfang an Raum, in
dieser Zugänglichkeit zum Entgegengesetzten als die höchste Art alles
Seienden" (344, 14-16). Damit definiert N. den ,dionysischen' Zarathustra,
d. h. den „Begriff des Dionysos selbst" (344, 33) im Sinne seiner Kon-
zeption des Tragischen und zugleich im Sinne Heraklits, der die Einheit des
Entgegengesetzten lehrte und diese Lehre sogar an Dionysos exemplifizierte
(Diels / Kranz 1951, 22 B 15).

2.2 Hauptmotive
Einige auffallende Motive durchziehen die Dionysos-Dithyramben — Motive, die
in N.s Schriften immer wiederkehren, andere, die er aus der zeitgenössischen
Decadence-Literatur übernahm, schließlich Motive, die sonst zwar latent
gegenwärtig sind, aber nun in der lyrischen Selbstaussprache unverhüllt her-
vortreten. Drei Motive sind dabei besonders dominant, nämlich Tod (1), Wahr-
heit (2) und Einsamkeit (3).
(1) Das Todesmotiv bildet zusammen mit dem schon früh akzentuierten
,Tragischen', mit dem Furor des Zerstörens und Vernichtens und dem aus der
Ahnung eigener Gefahren beschworenen ,Untergang' ein dichtes motivisches
und gedankliches Gewebe. Erstmals und mit der Emphase der Schlusspointe
erscheint das Todesmotiv im zweiten Dionysos-Dithyrambus:
„Vergiss nicht, Mensch, den Wollust ausgeloht:
du — bist der Stein, die Wüste, bist der Tod..." (KSA 6, 387, 12 f.)
Durch zahlreiche Wiederholungen intensiviert, nimmt der anschließende dritte
Dionysos-Dithyrambus Letzter Wille das Todesmotiv auf, und nun nicht mehr
bloß mit einer emphatischen Pointe, sondern mit einer vom Anfang bis zum
Ende durchgehenden Konzentration auf das Sterben, das schon die Überschrift
signalisiert. Obendrein konturiert N. diesen kürzesten seiner Dithyramben mit
den ringkompositorisch markierten Zeilen:
„So sterben,
wie ich ihn einst sterben sah —" (388, 2 f.)
 
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