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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0679
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656 Dionysos-Dithyramben

hinunter, hinein,
in immer tiefere Tiefen ringeln! —
Dann,
plötzlich,
geraden Flugs
gezückten [!] Zugs [!]
auf Lämmer stossen [Subjekt: syntaktisch die Abgründe, sachlich der
Adler],
jach hinab, heisshungrig,
nach Lämmern lüstern,
gram allen Lamms-Seelen,
grimmig gram" (378, 24-379, 15)
Unverkennbar parodiert N. hier auch Wagner mit der Überfülle von quasi-stab-
reimenden Alliterationen.
Wenn es eine tieferreichende, wenn auch kaum als Stil zu charakterisie-
rende Gemeinsamkeit der Dionysos-Dithyramben gibt, dann die bewusst manie-
ristisch inszenierte Überrhetorisierung und Überpointierung, die am Beispiel
des ersten Dithyrambus schon dargestellt wurde. Franz Overbeck, N.s bester
Freund bis zum Ende in Turin, notierte sich in seinen autobiographischen Auf-
zeichnungen nicht nur N.s Diktum von der „Magie des Extrems" (Overbeck
1999, 7/2, 99, vgl. NL 1887, KSA 12, 10[94], 510 = KGW IX 6, W II 2, 72, 14-35);
rückblickend stellte er auch fest, N. habe seine Hauptbegabung als Kritiker und
in der Rhetorik gehabt: „Nietzsche's Künstlerbegabung ist eine zu beschränkt
rhetorische gewesen" (Overbeck 1999, 7/2, 31). Thomas Mann bemerkte zum
Zarathustra, es handle sich „um Rhetorik, erregte[n] Wortwitz, gequälte
Stimme und zweifelhafte Prophetie" (Mann 2009b, 19.1, 194). Dies gilt auch für
die intensiv auf Zarathustra zurückgreifenden Dionysos-Dithyramben. Mit der
ungefähr gleichzeitig entstandenen Schrift Ecce homo und mit dem Zarathustra
gemeinsam haben die Dionysos-Dithyramben eine Tendenz zum Umschlag ins
Gegenteil. Aus dem Extremismus des vereinsamten, auf sich zurückgeworfenen
Ichs resultiert eine Ambivalenz von euphorisierter Selbstvergötterung und
selbstzerstörerischen Zweifeln, die sich in mehreren Dionysos-Dithyramben in
den wiederholten Vorstellungen von „Marter" und „Qual" entladen. Overbeck
konstatiert vor dem Hintergrund des biographischen Schicksals, N. habe seiner
Hauptbegabung, der kritischen, „die gefährlichste Anwendung gegeben, nämli.
[sic] auf sich, und damit in wahrhaft letaler Weise gegen sich" (Overbeck 1999,
7/2, 30). Auch im Ecce homo zeichnet sich, wie in den sogenannten Wahnsinns-
zetteln von Anfang 1889, die N. bald als „der Gekreuzigte" bald als „Dionysos"
unterschrieb, diese Spannung ab. In den Dionysos-Dithyramben tritt der
 
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