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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0738
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Stellenkommentar NW Vorwort, KSA 6, S. 413-415 715

und dergestalt zum ,Fall Wagner' das sehr ernste Gegenstück gegeben
habe." (KSB 8, Nr. 1192, S. 527, Z. 33-36) Während N. schon im Frühwerk das
Adjektiv „antipodisch" benutzt (so zur Charakterisierung des Verhältnisses von
Sokrates zur Kunst in GT 14, KSA 1, 96), tauchen die „Antipoden" erstmals in
FW 289 auf, und zwar dort noch explizit im geographischen Assoziationshori-
zont, aus dem das Wort ursprünglich stammt (zusammengesetzt aus dvii und
novq, „Gegenfüßler", bezogen also auf die Menschen oder Gebiete, die auf der
jeweils entgegengesetzten Seite der Erdkugel liegen): „Auch die moralische
Erde ist rund! Auch die moralische Erde hat ihre Antipoden! Auch die Antipo-
den haben ihr Recht des Daseins! Es giebt noch eine andere Welt zu entde-
cken — und mehr als eine! Auf die Schiffe, ihr Philosophen!" (KSA 3, 530, 2-6)
Bis zu N.s Werken herrscht im deutschen Sprachgebrauch ein geographisches
Verständnis des Wortes „Antipoden" vor. In JGB 44 charakterisieren sich die
„Wir", in deren Namen N. spricht, als „Antipoden" „aller modernen Ideologie
und Heerden-Wünschbarkeit" (KSA 5, 62, 4-6). Dass es „so artig, so auszeich-
nend" sei, „seine eignen Antipoden zu haben", betont N. in JGB 48, KSA 5, 70,
15 f. im Blick auf Renan. Demgegenüber erscheint in GM Vorrede 4 Paul Ree
und seine „englische Art", den „,Ursprung der moralischen Empfindun-
gen'" zu erklären, als das N. schlechthin „Antipodische", dem zugleich eine
hohe „Anziehungskraft" attestiert wird (KSA 5, 250, 21-25). In EH Warum ich
so klug bin 1, KSA 6, 280, 14 f. macht N. seine „Antipoden" „in München" aus —
nicht etwa wegen des dortigen Katholizismus, sondern wegen des dortigen
Bierkonsums. In NW Wir Antipoden, KSA 6, 425, 24-28 fügt er der Vorlage aus
FW 370 den Begriff des Antipoden hinzu: „Die Rache am Leben selbst — die
wollüstigste Art Rausch für solche Verarmte!... Dem Doppel-Bedürfniss der
Letzteren entspricht ebenso Wagner wie Schopenhauer — sie verneinen das
Leben, sie verleumden es, damit sind sie meine Antipoden." N. definiert sich
und sein Denken durch vielfache Abgrenzung, suggeriert durch die Antipodali-
tät der jeweils anderen jedoch, dass es gar keine direkte Grenze und Nähe zu
dem gebe, wovon er sich abgrenzt, sondern dass dieses Abgegrenzte das
genaue Gegenteil seiner eigenen Position wäre. Gerade im Falle von Wagner
und Schopenhauer, unter deren prägendem Einfluss sein Frühwerk für viele
Leser zu stehen schien, muss entsprechend die Antipodalität betont werden,
um einmal mehr das Verwechselt-Werden zu verhindern.
415, 7-11 Man wird auch noch Andres dabei begreifen: zum Beispiel, dass dies
ein Essai für Psychologen ist, aber nicht für Deutsche... Ich habe meine Leser
überall, in Wien, in St. Petersburg, in Kopenhagen und Stockholm, in Paris, in
New-York — ich habe sie nicht in Europa's Flachland Deutschland...] Eine
Parallelstelle findet sich in EH Warum ich so gute Bücher schreibe 2, KSA 6,
301, 11-17: „Dies war für Deutsche gesagt: denn überall sonst habe ich Leser —
 
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