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Ernst, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1928, 12. Abhandlung): Wurzeln der Medizin: Festrede ... am 10. Juni 1928 — Berlin, Leipzig, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.43554#0003
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Wurzeln der Medizin.
I.
Ich komme von Sizilien und sah im Geiste am Kraterrand des
Ätna Empedokles stehen. Da oben, der Gottheit näher, offenbarte sich
ihm die Natur; die große heroische Landschaft tat sich vor ihm auf
und zerteilte sich in ihre Urformen, die Erde als die Masse des Vulkans
und der Insel zu seinen Füßen, das Feuer in Gestalt der leuchtenden
Garben, die der Berg ausspie und der glühenden Lava, die über den
Krater quoll, das Wasser als das unendliche Meer, das ringsum den
Horizont abschloß und die Luft, die als lichtumflossene Glocke das
Ganze überwölbte. Das wurden seine vier Wurzeln, die Qt£(bp,axa,
wie er sie nannte. Platon nennt diese Grundstoffe Elemente, rd t&v
nävroiv (jroi%ela. Wir haben sie in der Schule gelernt, und wenn sie auch
von der Wissenschaft längst abgeschafft sind und durch 87 Elemente
ersetzt wurden, so beherrschen sie heute noch unser Denken, wenn wir
von Bodenschätzen, von der chemischen und physikalischen Beherrschung
der Luft, von Wasserversorgung und Freiheit der Meere, vom Feuer
als dem Bringer des Lichts und der Wärme, dem Antrieb der Industrie
reden. Sie werden von Goethe in der Pandora in klangvollen Daktylen
besungen und erklingen im Ring des Nibelungen als Sphärenharmonie:
Das Wasser im wogenden Vorspiel zu Rheingold und in den wiegenden
Weisen der Rheintöchter, die Erde in der geheimnisvollen Gestalt der
Erda, der weisen Wala, die Luft im Waldweben und dem Walkürenritt,
das Feuer im Feuerzauber und der flackernden Gestalt des Loge. So
ist es seit zweieinhalb Jahrtausenden. Erst 1661 bekämpft Robert
Boyle die Lehre von den 4 Grundstoffen und definiert das chemische
Element als einen nicht weiter zerlegbaren Körper. Empedokles
lehrte: Es gibt kein Entstehen und kein Vergehen. Entstehung ist Ver-
bindung, Vergehen ist Trennung, Veränderung ist teilweise Verbindung
und Trennung der Elemente. Von der Mischung (x^dcn?) der Ur-
und Grundstoffe hängt Natur und Beschaffenheit aller körperlichen
Einzeldinge der belebten und unbelebten Welt ab, da der Luft die Kälte,
dem Feuer die Wärme, dem Wasser die Feuchte, der Erde die Trocken-
heit zukommt. Die bewegenden Kräfte des Zusammen- und Aus-
einandertretens der Stoffe sind eine vereinigende (die Liebe (piMa) und
eine trennende (der Haß velxot;). Bewußt wird hier seelische Anziehung
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