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Wilhelm Salomon:
Erst sehr viel später hat Tarnuzzer im Engadin ähnliche For-
men als „Schuttfacetten“ beschrieben1) und dadurch die Aufmerk-
samkeit der Fachgenossen auf die entsprechenden Bodenformen der
Alpen gelenkt.
Mich als alten Alpengeologen beschäftigte seit der Spitzbergenreise
die Frage, ob diese alpinen Bodenformen wirklich denen der Arktis analog
seien. Ich hatte Zweifel daran; denn auf Spitzbergen sind sie so weit
verbreitet und so auffällig, daß sich ihre Beobachtung jedem aufdrängt.
Wenn sie in den Alpen wirklich, wemi auch nur an günstigen Stellen,
ebenso entwickelt wären, warum hatte man sie dann erst so spät beachtet ?
In den polaren Gebieten hängt ihr Auftreten zweifellos mit der „Tjäle“,
dem ewig gefrorenen Untergrund zusammen. Eine echte Tjäle war mir
aber aus den Alpen nicht bekannt.
Auch alle meine Nachforschungen in der Literatur ergaben darüber
keine Auskunft. Herr Professor A. Peppler, Direktor der Karlsruher
Wetterwarte, hatte die Freundlichkeit, mir mitzuteilen, daß sich im
Zugspitzgebiet in einer Höhe von etwa 2500 m am Plattachferner
„das ganze Jahr mit Geröll bedeckter Eisboden befindet“. Herr Privat-
dozent Dr. Gams sagte mir, daß Herr Dr. Emil Bächler in St. Gallen
von vereinzelten Punkten der Alpen echte Tjäle kenne, ja daß sich auch
im Jura an einer Stelle (? am Weißenstein) ein Punkt mit Tjäle habe
nach weisen lassen. Auf eine Anfrage bei Bächler erhielt ich keine
Antwort. Jedenfalls scheint es also bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand
sehr wahrscheinlich, daß in den Alpen in den in Betracht kommenden
Höhen nur ausnahmsweise und örtlich eine echte Tjäle vorkommt. In
sehr großen Höhen (über 3500 m) mag sie entwickelt sein. Indessen
sind dort alle flacheren Stellen von Firn dauernd bedeckt, und an den
steilen, firnfreien Hängen können sich natürlich die entsprechenden Boden-
formen der polaren Gebiete nicht bilden. Auch darf man bei all solchen
Untersuchungen nicht vergessen, daß schneefreie Stellen der Hochalpen
im Sommer eine ungewöhnlich starke Insolation haben. Alb. Heim gibt
auf S. 3 seiner Gletscherkunde an, daß man einen Zentimeter unter
staubig verwittertem dunklem Gestein bei 3—4000 m Höhe oft 40—60 0
messen könne. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß schwarze
Steine in großen Höhen bei Besonnung oft so heiß werden, daß man sie
nicht mehr anfassen kann. Das sind aber Verhältnisse, wie man sie aus
den polaren Gebieten nicht kennt und die naturgemäß einen Einfluß auf
die Bodenformen haben müssen.
x) Beiträge zur Geologie des Unterengadins. Beitr. z. geol. Karte d. Schweiz
N. F. 23. Bern 1909, S. 105 — 106 und Die Schuttfacetten der Alpen und des
hohen Nordens. Petermanns Mitteilungen 57, 1911, II. S. 262—264.
Wilhelm Salomon:
Erst sehr viel später hat Tarnuzzer im Engadin ähnliche For-
men als „Schuttfacetten“ beschrieben1) und dadurch die Aufmerk-
samkeit der Fachgenossen auf die entsprechenden Bodenformen der
Alpen gelenkt.
Mich als alten Alpengeologen beschäftigte seit der Spitzbergenreise
die Frage, ob diese alpinen Bodenformen wirklich denen der Arktis analog
seien. Ich hatte Zweifel daran; denn auf Spitzbergen sind sie so weit
verbreitet und so auffällig, daß sich ihre Beobachtung jedem aufdrängt.
Wenn sie in den Alpen wirklich, wemi auch nur an günstigen Stellen,
ebenso entwickelt wären, warum hatte man sie dann erst so spät beachtet ?
In den polaren Gebieten hängt ihr Auftreten zweifellos mit der „Tjäle“,
dem ewig gefrorenen Untergrund zusammen. Eine echte Tjäle war mir
aber aus den Alpen nicht bekannt.
Auch alle meine Nachforschungen in der Literatur ergaben darüber
keine Auskunft. Herr Professor A. Peppler, Direktor der Karlsruher
Wetterwarte, hatte die Freundlichkeit, mir mitzuteilen, daß sich im
Zugspitzgebiet in einer Höhe von etwa 2500 m am Plattachferner
„das ganze Jahr mit Geröll bedeckter Eisboden befindet“. Herr Privat-
dozent Dr. Gams sagte mir, daß Herr Dr. Emil Bächler in St. Gallen
von vereinzelten Punkten der Alpen echte Tjäle kenne, ja daß sich auch
im Jura an einer Stelle (? am Weißenstein) ein Punkt mit Tjäle habe
nach weisen lassen. Auf eine Anfrage bei Bächler erhielt ich keine
Antwort. Jedenfalls scheint es also bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand
sehr wahrscheinlich, daß in den Alpen in den in Betracht kommenden
Höhen nur ausnahmsweise und örtlich eine echte Tjäle vorkommt. In
sehr großen Höhen (über 3500 m) mag sie entwickelt sein. Indessen
sind dort alle flacheren Stellen von Firn dauernd bedeckt, und an den
steilen, firnfreien Hängen können sich natürlich die entsprechenden Boden-
formen der polaren Gebiete nicht bilden. Auch darf man bei all solchen
Untersuchungen nicht vergessen, daß schneefreie Stellen der Hochalpen
im Sommer eine ungewöhnlich starke Insolation haben. Alb. Heim gibt
auf S. 3 seiner Gletscherkunde an, daß man einen Zentimeter unter
staubig verwittertem dunklem Gestein bei 3—4000 m Höhe oft 40—60 0
messen könne. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß schwarze
Steine in großen Höhen bei Besonnung oft so heiß werden, daß man sie
nicht mehr anfassen kann. Das sind aber Verhältnisse, wie man sie aus
den polaren Gebieten nicht kennt und die naturgemäß einen Einfluß auf
die Bodenformen haben müssen.
x) Beiträge zur Geologie des Unterengadins. Beitr. z. geol. Karte d. Schweiz
N. F. 23. Bern 1909, S. 105 — 106 und Die Schuttfacetten der Alpen und des
hohen Nordens. Petermanns Mitteilungen 57, 1911, II. S. 262—264.