Arktische Bodenformen in den Alpen.
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Aus allen diesen Gründen schien mir eine Nachprüfung der alpinen
Formen wünschenswert. Da ich nun infolge der Kriegs- und Nachkriegs-
verhältnisse seit langer Zeit keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, die
in Betracht kommende Hochregion gründlich abzusuchen, so benützte
ich eine freundliche Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissen-
schaften, um im August 1929 im Engadin der Frage nachzugehen. Hier
hatte Tabnuzzer seine Beobachtungen gemacht; und hier sind ausge-
dehnte Hochflächen unter und oberhalb der Gletscher vorhanden, die
für die Herausbildung der Strukturböden besonders günstig sein mußten.
Ich spreche der Heidelberger Akademie auch an dieser Stelle meinen
besten Dank für ihre Hilfe aus.
Erst nach meiner Rückkehr erfuhr ich durch Herrn Professor
Philipp, daß Herr Dr. Hans Kinzl in Innsbruck (jetzt in Heidelberg)
mit ähnlichen Untersuchungen beschäftigt sei; und mittlerweile hat Kinzl
seine Beobachtungen in einer wertvollen Arbeit „Beobachtungen über
Strukturböden in den Ostalpen“ (Petermanns Mitteilungen, 1928, S. 261
bis 265) veröffentlicht. Diese Arbeit stellt nicht nur die ältere Literatur
sehr vollständig zusammen, sondern bringt auch eine große Anzahl sorg-
fältiger Beobachtungen, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde.
Meine Begehungen bezweckten festzustellen, ob die für die Polar-
gebiete charakteristischen Bodenformen auch in den Alpen 1. sämtlich
vorhanden sind, 2. wenn ja, ob in gleichem oder in geringerem Maße,
3. wenn nein, oder wenn nur in geringerem Maße, worauf der Unterschied
zurückzuführen sei.
Die wichtigsten Typen der polaren Bodenformen sind nach Bertil
Högboms und auch nach meiner Ansicht in zwei Gruppen zu trennen,
1. in die Formen des ruhenden oder zum mindesten nicht in starker
abwärts gerichteter Bewegung begriffenen Bodens und 2. in die Formen
des in solcher Bewegung befindlichen Bodens. Dabei ist es klar, daß
die Typen der ersten Gruppe von Bewegungen ergriffen werden und daun
Ubergangstypen zu der zweiten Gruppe bilden können.
Die zweite Gruppe der polaren Bodenformen gehört mit den
Bodenformen zusammen, die in den nicht periglazialen Gebieten
durch das Götzingersche „.Kriechen“ verursacht werden, während sie
selbst von dem Vorgänge herrühren, den I. G. Andersson als Solifluktion
bezeichnet hat. Beide Vorgänge möchte ich im Folgenden als „Boden-
fließen“ zusammenfassen, was man ja in anderen Sprachen entsprechend
ausdrücken kann. Unter Solifluktion verstehe ich aber nur die Boden-
bewegungen über einer Tjäle (= Frostboden1) = Eisboden) im Gegensatz
P Der Ausdruck ist von Pohle vorgeschlagen in „Frostboden in Asien und
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Aus allen diesen Gründen schien mir eine Nachprüfung der alpinen
Formen wünschenswert. Da ich nun infolge der Kriegs- und Nachkriegs-
verhältnisse seit langer Zeit keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, die
in Betracht kommende Hochregion gründlich abzusuchen, so benützte
ich eine freundliche Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissen-
schaften, um im August 1929 im Engadin der Frage nachzugehen. Hier
hatte Tabnuzzer seine Beobachtungen gemacht; und hier sind ausge-
dehnte Hochflächen unter und oberhalb der Gletscher vorhanden, die
für die Herausbildung der Strukturböden besonders günstig sein mußten.
Ich spreche der Heidelberger Akademie auch an dieser Stelle meinen
besten Dank für ihre Hilfe aus.
Erst nach meiner Rückkehr erfuhr ich durch Herrn Professor
Philipp, daß Herr Dr. Hans Kinzl in Innsbruck (jetzt in Heidelberg)
mit ähnlichen Untersuchungen beschäftigt sei; und mittlerweile hat Kinzl
seine Beobachtungen in einer wertvollen Arbeit „Beobachtungen über
Strukturböden in den Ostalpen“ (Petermanns Mitteilungen, 1928, S. 261
bis 265) veröffentlicht. Diese Arbeit stellt nicht nur die ältere Literatur
sehr vollständig zusammen, sondern bringt auch eine große Anzahl sorg-
fältiger Beobachtungen, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde.
Meine Begehungen bezweckten festzustellen, ob die für die Polar-
gebiete charakteristischen Bodenformen auch in den Alpen 1. sämtlich
vorhanden sind, 2. wenn ja, ob in gleichem oder in geringerem Maße,
3. wenn nein, oder wenn nur in geringerem Maße, worauf der Unterschied
zurückzuführen sei.
Die wichtigsten Typen der polaren Bodenformen sind nach Bertil
Högboms und auch nach meiner Ansicht in zwei Gruppen zu trennen,
1. in die Formen des ruhenden oder zum mindesten nicht in starker
abwärts gerichteter Bewegung begriffenen Bodens und 2. in die Formen
des in solcher Bewegung befindlichen Bodens. Dabei ist es klar, daß
die Typen der ersten Gruppe von Bewegungen ergriffen werden und daun
Ubergangstypen zu der zweiten Gruppe bilden können.
Die zweite Gruppe der polaren Bodenformen gehört mit den
Bodenformen zusammen, die in den nicht periglazialen Gebieten
durch das Götzingersche „.Kriechen“ verursacht werden, während sie
selbst von dem Vorgänge herrühren, den I. G. Andersson als Solifluktion
bezeichnet hat. Beide Vorgänge möchte ich im Folgenden als „Boden-
fließen“ zusammenfassen, was man ja in anderen Sprachen entsprechend
ausdrücken kann. Unter Solifluktion verstehe ich aber nur die Boden-
bewegungen über einer Tjäle (= Frostboden1) = Eisboden) im Gegensatz
P Der Ausdruck ist von Pohle vorgeschlagen in „Frostboden in Asien und